Solvenzquote mit Diagrammen

6. Dezember 2021

Eine Vielzahl an Ratings am Markt für Lebensversicherungen will Transparenz schaffen. Doch es lohnt sich genauer hinzuschauen, denn gelegentlich werden Äpfel mit Birnen verglichen. Welche Kenngrößen berücksichtigen die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines Lebensversicherungsunternehmens? Und warum sprechen bei Versicherungen alle über die Solvenzquote?

Solvenzquote: Finanzielle Leistungsfähigkeit und Sicherheit in der Lebensversicherung bewerten

Letztlich erhoffen sich Kunden und Vermittler von Ratings Antwort auf eine Frage: Welche Gesellschaft wird es in Zukunft schaffen, günstige Beiträge (in biometrischen Versicherungen) durchzuhalten, im Leistungsfall fair zu regulieren, bei Altersvorsorgeprodukten eine möglichst gute Rendite bei vertretbaren Kosten zu erwirtschaften und die Leistungsversprechen auch auf einen Zeitraum von  über 50 Jahren (inklusive der Rentenphase) zuverlässig einhalten zu können?

In vielen Ratings trifft man gewisse gemeinsame Kennzahlen immer wieder. Dies sind meist Größen, die sich auf Ergebnisse über einen bestimmten Zeitraum hinweg beziehen (zum Beispiel Nettoverzinsung, laufende Verzinsung, Performance, Kostenquoten) oder auf Bestände der Bilanz (Reserven in Form von Eigenkapital, freier RfB, Schlussüberschussfonds, Zinszusatz- oder Bewertungsreserven).

Aussagekraft eines Ratings bewerten

Aber jeder Ratinganbieter ist naturgemäß auch bestrebt, sich von anderen Anbietern abzugrenzen und mit unterschiedlichen Gewichtungen und Bezugsgrößen ein gut zu vermarktendes Ergebnis zu schaffen. Um die Aussagekraft eines Ratings zu bewerten, sollte man sich deshalb genau ansehen, welche Kennzahlen der Rater ausgewählt hat und wissen, was sich hinter ihnen verbirgt.

Ein Rating ergibt dann Sinn, wenn es umfassend die ökonomische Stärke des Lebensversicherers abbildet. Dabei ist es selbstverständlich sinnvoll, möglichst viele Perspektiven einfließen zu lassen, die für den Kunden wichtig sind: Leistung in der Kapitalanlage, vorhandene Puffer in der Bilanz, Belastung aus Garantien (im Vergleich zur Leistungsfähigkeit), Risikoerträge in der Versicherungstechnik oder Stornoneigung der Kunden und Kostensituation sind nur einige Beispiele dafür. Ein vernünftiges Rating sollte sich also durchaus breit aufstellen, so etwa die betriebswirtschaftliche Analyse von Prof. Dr. Hermann Weinmann zur Leistungsfähigkeit von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit.

Skeptisch sollte man dagegen bei Ratings werden, die den gleichen Euro in unterschiedlichen Reservetöpfen unterschiedlich gewichten. Von seltenen Ausnahmen wie Steuereffekten abgesehen, ist das in der Regel kein angemessenes Vorgehen.

Solvenzquote als umfassende Kennzahl für Finanzstärke

Letztlich hat die Regulierung durch Solvency II mit der Netto-Solvenzquote (ohne Hilfs- und Übergangsmaßnahmen) eine solche „breite Kennzahl“ geschaffen. In diese fließen nämlich sowohl alle aktiv- und passivseitigen Puffer der Gesellschaft in einer Marktwertsicht ein als auch die Belastungen aus Garantien und künftige Entlastungen aus Erträgen. Was dabei etwas zu kurz kommt, ist lediglich die Chancen-Komponente im Rahmen der Kapitalanlage, denn Solvency II richtet den Blick auf mögliche Negativszenarien.

Als Ergänzung bietet sich also ein Blick auf die Zusammensetzung der Kapitalanlage an. Hier lohnt es sich insbesondere darauf zu achten, ob der Anbieter genügend chancenreiche Anlagen im Bestand hat, wie Immobilien, Aktien und Beteiligungen. Eine sehr hohe Solvenzquote muss dabei nicht zwingend auf ein konservatives Anlageverhalten schließen lassen, sondern kann vielmehr ein Zeichen dafür sein, dass renditeorientierte Anlagen auch in der Vergangenheit gut performt haben und dadurch die Bildung hoher Finanzpuffer möglich war. Die LV 1871 überzeugt hier durch eine Immobilienquote weit über dem Branchendurchschnitt (ca. 15 Prozent der Anlagen zu Marktwerten) und ebenfalls überdurchschnittliche Nutzung von Chancen bei Beteiligungen und Aktienengagements (rund 12 Prozent).

Ratings: Hinter die Kulissen schauen

Neben umfassenden Ratings von unterschiedlicher Qualität konnte man es in letzter Zeit auch Meldungen wie „33 Anbieter schafften es 2020 nicht, ihre Garantieverpflichtungen am Kapitalmarkt zu verdienen“ in die Fach- oder Tagespresse lesen. Auch hier heißt es genau hinsehen und hinter die Kulissen schauen. Diese Analyse bezog sich rein auf bilanzielle Größen des Handelsgesetzbuch (HGB), wie sie nach Paragraf 15 MindZV jährlich zu veröffentlichen sind. Die dabei verwendeten Nettokapitalerträge (ins Verhältnis gesetzt zum Aufwand aus Rechnungszins und Zinszusatzreserve) sind in der unternehmerischen Praxis allerdings sehr gut steuerbar und werden von den Gesellschaften im Regelfall nur so stark durch die Realisierung von Bewertungsreserven beeinflusst, wie es nötig ist.

Stehen also aus anderen Ertragsquellen (Risiko- oder Kostenergebnisse) auskömmliche Beträge zur Verfügung, kann es durchaus ratsam sein, die Reserven zu schonen, sofern sie nicht für aktuelle Garantien und Überschussbeteiligung benötigt werden. Darüber hinaus haben die im jeweiligen Jahr am Kapitalmarkt tatsächlich verdienten Erträge  wenig mit der rein bilanziellen Größe „Nettoertrag“ zu tun. Denn dazu müsste man die Veränderung der Bewertungsreserven mit einbeziehen. Somit ist die Aussage der oben genannten Schlagzeile aus mehrerlei Hinsicht zumindest diskussionswürdig.

Informationen und Hintergründe zu Ratings in der Versicherungsbranche

In Folgebeiträgen werden wir nun weiter im Detail auf die Bedeutung einzelner Kennzahlengruppen eingehen, um auch Ihnen künftig das Handwerkszeug zu geben, Ratings und teils reißerische Pressemeldungen kritisch zu hinterfragen.

Autorenbild: Andreas SchwarzPortfolio Institutionell

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