1. Februar 2022
Im ersten Teil unserer Serie haben wir uns angesehen, welche Kriterien hinter den Leistungskennzahlen von Versicherungsunternehmen stecken. Im diesem Teil widmen wir uns der Frage: "Welche Kennzahlen sind relevant, um die Leistungsfähigkeit eines Lebensversicherers zu beurteilen?" Und wir klären, warum die LV 1871 einen Fokus auf die Performance der Kapitalanlagen legt.
Finanzielle Leistungsfähigkeit: Kapitalanlage als Hebel
Es ist letztlich nicht eine Kennzahl, die für die Leistungsfähigkeit eines Lebensversicherers ausschlaggebend sein wird. Einige sind jedoch von größerer Bedeutung. Zudem gibt es Kennzahlen, die man unbedingt im Kontext anderer Informationen betrachten muss.
Zukunftsfähigkeit als Mindestvoraussetzung
An sich hat sich seit der Einführung von Solvency II im Jahr 2016 die Solvenzquote (netto ohne Hilfs- und Übergangsmaßnahmen) als guter Maßstab für die Sicherheit einer Gesellschaft etabliert. Mit viel Aufwand ist diese Kennzahl das Produkt eines Gesamtunternehmensmodells, das versucht, alle vorhandenen Sicherheitsmittel eines Lebensversicherungsunternehmens in Bezug zu seinen Risiken zu setzen. Dabei wird sowohl die Stärke der Kapitalanlage (Aktivseite der Bilanz) als auch die Qualität der Bestandsstruktur der Verträge und deren Kalkulation (Passivseite der Bilanz) einbezogen. Das Ergebnis ist eine Größe, die angibt, wie oft das aufsichtsrechtlich nötige Kapital im Unternehmen vorhanden ist, das mit 0,5-prozentiger Wahrscheinlichkeit in einem Stress-Szenario der Zukunft – man spricht hier vom 200-Jahre-Ereignis – aufgezehrt wäre.
Man könnte nun behaupten, Werte deutlich über 100 Prozent seien unnötiger Luxus. Dabei vergisst man jedoch mindestens zwei Punkte:
- Märkte schwanken regelmäßig. Um im Falle von Schwankungen nicht unter Zugzwang zu prozyklischem Handeln zu kommen (zum Beispiel Aktienverkauf im Börsencrash), ist eine deutliche Überdeckung nötig. Idealerweise sollte sogar genügend Puffer zu einem Zukauf in solchen Phasen vorhanden sein, die eine Gelegenheit für Unternehmen und Kunden darstellen. Die Corona-Krise hat dies im März 2020 wieder eindrucksvoll bewiesen.
- Zum anderen ist die Überdeckung der Solvenzquote heute auch in gewissem Umfang die höhere Überschussbeteiligung von morgen. Sie ermöglicht nämlich eine Kapitalanlage, die risiko- und gleichzeitig renditestärker ist.
Geäußert wird hin und wieder das Argument, die hohe Solvenzquote sei ein Hinweis auf zu wenig eingegangene Risiken, insbesondere in der Kapitalanlage. Das kann zutreffen, muss es jedoch nicht: Die Solvenzquote der LV 1871 kommt beispielsweise auf einen Top-10-Wert am deutschen Markt, obwohl wir in weit überdurchschnittlichem Ausmaß in renditestarke Immobilien, aber auch in Aktien und Beteiligungen investiert sind. Man kann also, um sicher zu gehen, dass die Solvenzquote nicht auf Kosten von Renditechancen geht, die Asset Allokation als zusätzlichen Indikator heranziehen. Haben die Kapitalanlagen in der Vergangenheit erfolgreich performt, kann sich ein Unternehmen „quasi gar nicht gegen eine hohe Solvenzquote wehren“ – insbesondere nicht als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG), der keinen Aktionären verpflichtet ist.
Die Vorteile eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit
So schmälern in einem VVaG zum einen keine Ausschüttungen an Aktionäre in Form von Dividenden die finanzielle Basis. Zum anderen entstehen bei Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaften bei Solvenzquoten jenseits von 200 Prozent schnell Begehrlichkeiten, vermeintlich nicht sinnvoll genutztes Solvenzkapital an die Aktionäre oder Muttergesellschaft zurückzuführen. Dies führt dann unter Umständen in Krisenzeiten zu wenig zielführenden Entscheidungen, Risiken zu reduzieren. Darüber hinaus vermeiden Aktiengesellschaften tendenziell auch das Investment in renditestärkere und damit risikoreichere Kapitalanlagen, da aufgrund der asymmetrischen Partizipation der Versicherungsnehmer an deren Gewinnen (jedoch nicht an Verlusten) die Aktionäre vor Verlusten geschützt werden sollen. Im Niedrigzinsumfeld ist die Solvabilität jedenfalls eine enorm wichtige Kennzahl, weil gerade dann Stabilität im Blickpunkt.
Zum Vergleich zwischen Anbietern darf insbesondere bei Gesellschaften mit einem (partiellen) internen Solvency-II-Modell nicht die Quote mit Volatilitätsanpassung (VA) herangezogen werden, obwohl diese dauerhaft nutzbar ist und nur der Höhe nach schwankt. Diese Gesellschaften genießen jedoch den einseitigen Vorteil gegenüber Standardmodell-Anwendern, die VA dynamisch interpretieren zu dürfen und sich damit die Spreadrisiken künstlich klein rechnen zu dürfen. Quoten mit Übergangsmaßnahmen sind zwar aufsichtsrechtlich legitim, jedoch ökonomisch ebenfalls nicht sinnvoll vergleichbar.
Kapitalanlagen als größter Hebel
Die Performance der Kapitalanlagen wurde bereits angesprochen: Hierbei gilt es zwischen der ökonomischen Performance (jährliche Rendite der Marktwerte) und der bilanziellen Größe (Nettoverzinsung bzw. Nettoertrag) zu unterscheiden.
In der Vergangenheit wurde oft die Nettoverzinsung als Erfolgskriterium in Ratings herangezogen. Es ist zwar richtig, dass man sehr langfristig nur die Erträge auch bilanziell als Nettoverzinsung ausweisen kann, die man vorher irgendwann erwirtschaftet hat. Von daher ist die Nettoverzinsung über Zeiträume von zehn bis 30 Jahren nach wie vor relevant. Kurzfristig wurde, insbesondere durch die Finanzierung der Zinszusatzreserve (ZZR), die Nettoverzinsung zu einer sehr volatilen Größe. Sie kann eigentlich (bei Vorhandensein von genügend stillen Reserven, wovon derzeit auszugehen ist) jederzeit im Jahresverlauf auf einen Zielwert hin gesteuert werden, indem man Abgangsgewinne oder Ausschüttungen aus Spezialfonds realisiert. Man kann also schwer beurteilen, welcher Teil der Nettoverzinsung auf eine erhöhte langfristige Leistungsfähigkeit und welche sogar eher auf kurzfristige hohe Belastungen durch die ZZR zurückzuführen ist.
Teilweise wurde dann empfohlen, stattdessen auf die laufende Durchschnittsverzinsung (ohne Sondereffekte wie Abgangsgewinne/-verluste, außerplanmäßige Zu- und Abschreibungen) zurückzugreifen. Diese ist prinzipiell weniger beeinflussbar, allerdings haben insbesondere große Versicherer oft sehr hohe Anteile ihrer Kapitalanlagen in Spezialfonds ausgelagert (Das können bis zu zwei Drittel des gesamten Volumens sein). Werden nun im Fonds Abgangsgewinne realisiert, erfolgt die Ausschüttung auf der Ebene des Lebensversicherungsunternehmens wieder als laufender Ertrag. Dadurch wird der Charakter der Erträge teilweise verschleiert. Erkennbar war dies meist an weit überdurchschnittlich hoher laufender Durchschnittsverzinsung in Jahren mit hohem ZZR-Finanzierungsbedarf. Die Aussagekraft dieser Kennzahl ist also ebenfalls teilweise eingeschränkt.
Nicht geschönt werden kann jedoch die tatsächliche Performance der Kapitalanlagen. Lebensversicherungsunternehmen ermitteln sie aus der Summe von Nettoerträgen und der Veränderung von Bewertungsreserven im Zähler, bezogen auf den mittleren Marktwert der Kapitalanlagen im Nenner. Diese Größe verwenden wir bei der LV 1871 hauptsächlich zum Peer-Group-Vergleich. Sie kommt dem gängigen Begriff der Rendite viel näher. Sie unterliegt natürlich aufgrund der Dynamik der Kapitalmärkte auch deutlich größeren Schwankungen als die gut steuerbare Nettoverzinsung. Wir messen unsere Performance sowohl jährlich als auch über die letzten zehn Jahre an unseren Mitbewerbern und erzielen dabei deutlich herausstechende Werte am oberen Rand des Marktes.
Eine gute Performance der Vergangenheit mündet dann in der Regel in eine hohe Bewertungsreservenquote (stille Reserven abzüglich stiller Lasten in Bezug auf die Buchwerte der Kapitalanlagen). Diese ist ebenfalls gut dafür geeignet, die Leistungsfähigkeit eines Lebensversicherungsunternehmens zu beurteilen und auch seine zukünftigen Potenziale, eine überdurchschnittliche Überschussbeteiligung darstellen zu können. Inklusive unserer Vorkäufe erreichten wir 2020 Rang 2 am deutschen Markt unter rund 80 Gesellschaften bei den Bewertungsreserven. Manche Ratings versuchen, aus einzelnen Kennzahlen einen Rückschluss auf die zukünftigen Renditepotenziale der Kapitalanlagen zu ziehen. Wird dabei nur theoretisch ein freies Risikokapital durch Gewichtung von sicheren und renditeorientierten Anlagen in eine erwartete Rendite umgerechnet, greift das jedoch viel zu kurz. Denn damit ist keinesfalls gesagt, dass die Unternehmen dieses Potenzial, höhere Risiken einzugehen und Renditen zu erzielen, tatsächlich auch nutzen würden.
Aktives Management der Kapitalanlagen – auch in der Fondswelt wichtig
Eine Kapitalanlage mit Herzblut auch weiterhin in Eigenregie zu betreiben, bleibt trotz des aktuellen Trends hin zu fondsgebundenen Rentenversicherungslösungen wichtig. Denn das Sicherungsvermögen bildet auch für indexgebundene Versicherungen und die FRV stets die Basis. Nur so lassen sich (Teil-)Garantien erfolgreich und bei Wahrung von Ertragschancen für Kunden weiter anbieten. Die Abkehr von Garantiefonds hin zu Zwei-Topf-Lösungen erhöht Transparenz und verhindert auch in diesem Bereich prozyklisches Agieren, wie bei CPPI-Lösungen (wo bei Aufzehren eines definierten Risikopuffers in schlechten Zeiten sukzessive die Aktienquote reduziert wird) oft zu beobachten.
Damit leiten wir über auf den kommenden Teil dieser kleinen Serie, in dem Kennzahlen mit Bezug zur „Passivseite“ (Verpflichtungen) der Bilanz aufgegriffen werden.
Autorenbild: Andreas Schwarz; Portfolio Institutionell
Dr. Andreas Billmeyer
Leiter Risikomanagement LV 1871
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