Für Michel war der regelmäßige Sonntagsbesuch bei Oma immer der Höhepunkt der Woche: Ganz aufgeregt hatte der Fünfjährige seine Schuhe schon im Auto ausgezogen, bevor er überhaupt die altmodische Diele seiner Lieblingsoma betreten hatte. Nach viel Wangenkneiferei wurde dann auch schon das Essen aufgetischt, meistens Schweinebraten – und dazu gab es einen extra großen Kakao für Michel.

Diese Tradition fand schließlich aber ein trauriges Ende: Nachdem Michels Oma einen Herzinfarkt erlitten hatte, mussten das nächste und auch das übernächste Sonntagstreffen im Krankenhaus stattfinden. Kurz nach dem zweiten Sonntag am Patientenbett starb sie schließlich – und Michels Eltern mussten sich nun auf das Gespräch mit ihrem Kind vorbereiten, in dem sie ihm erklären würden, dass er seine Oma nie wieder sehen kann.

Kinder haben einen ehrlichen und offenen Umgang verdient

Erwachsene Menschen teilen ein Trauerverhalten, das sich in vielen Aspekten sehr ähnelt: Werden sie mit dem Tod einer ihnen nahestehenden Person konfrontiert, reagieren sie traurig, niedergeschlagen, frustriert, oft wortkarg und den Tränen nahe. Jeder Betroffene findet über die folgenden Tage und Wochen zwar eigene Wege, die Trauer zu verarbeiten, doch die unmittelbare emotionale Reaktion verläuft in den meisten Fällen zunächst in immer gleichen Bahnen – das liegt in der Natur des Menschen.

In der Natur des Menschen liegt allerdings auch, dass Kinder vollkommen anders trauern, als Erwachsene. Dabei ist die emotionale Reaktion des Kindes stark von seinem Alter abhängig: Die moderne Psychologie schreibt Heranwachsenden erst ab etwa zehn Jahren die Fähigkeit zu, den Tod in seiner unumkehrbaren Endgültigkeit zu begreifen. Jüngere Kleinkinder hingegen begreifen den Tod eher als einen vorübergehenden Zustand, eine Art „Schlaf“, dem sie häufig auch entsprechend gleichgültig gegenüber eingestellt sind — und das kann Eltern durchaus schockieren, die gerade selbst eine Trauerphase durchleben müssen.

So staunten Michels Eltern nicht schlecht, als sie schweren Herzens ihren Sohn über den Tod seiner Oma informieren wollten und der Fünfjährige ohne zu zögern antwortete: „Fein. Und wann kommt sie wieder zurück?“ Das war nicht die Reaktion, mit dem das Elternpaar gerechnet hatte. Ratlos und stumm ließen sie den Fragenschwall von Michel über sich ergehen, der erst jetzt so richtig neugierig wurde: „Was gibt es im Himmel zu essen? Wieso war Oma so müde? Sterbt ihr auch bald?“

Es sind schwierige Fragen, die überrumpeln können — dabei lässt sich die Faustregel für das Gesprächsverhalten der Eltern gegenüber ihren fragenden Kindern mit zwei einfachen Worten zusammenfassen: Offenheit und Ehrlichkeit. Was genau sich hinter diesen beiden Schlagworten verbirgt, weiß Eva Terhorst, die als professionelle Trauerbegleiterin und Heilpraktikerin für Psychotherapie schon viel Erfahrung im Umgang mit derlei kniffligen Situationen sammeln konnte: „Generell gilt, dass es immer besser ist, so offen und ehrlich zu sein, wie es nur geht. Auch oder gerade wenn es sich dabei um Kinder handelt, sind diese auf Augenhöhe zu behandeln (…).“ Ehrlichkeit sei insbesondere deswegen so wichtig, weil sowohl Kleinkinder wie Jugendliche schnell merken, wenn sie angelogen werden — das koste nicht nur wertvolles Vertrauen und belaste die Eltern-Kind-Beziehung, sondern setze in der kindlichen Phantasie ein riskantes Kopfkino in Gang: „Wir schützen die Kinder (…) nicht, wenn wir Dinge verharmlosen, denn in ihrer Vorstellung ist es meist schlimmer, als in der Realität“, fasst Terhorst zusammen.

Vater steht mit Tochter mit einem Regenschirm vor einem Grab

Gemeinsam Abschied nehmen — in der Familie oder in Trauergruppen

Es ist wichtig, dass Eltern und Angehörige den Kindern vermitteln, dass der Tod endgültig, aber gleichzeitig auch ein natürlicher Teil jedes Lebens ist, vor dem man sich nicht fürchten muss. Je nach Alter und Verfassung des Kindes kann diese Botschaft in angemessenen Metaphern und Vergleichen umschrieben werden. Neben Worten empfehlen Trauerbegleiter allerdings auch, Kinder ganz praktisch in die Beerdigungsvorbereitungen mit einzubeziehen, sofern sie das wollen. Diese Empfehlung befürwortet auch Petra Hohn, Geschäftsführerin des Bundesverbands Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V. (veid): „Wenn der Tod eintritt, ob plötzlich oder erwartet, kann das Kind gerne in Aktivitäten für die ‚letzte Reise‘ des Verstorbenen einbezogen werden. So können sie beispielsweise den Sarg bemalen, Sargbeigaben mitgestalten oder noch ganz anders aktiv werden — hier sollen Kinder frei und kreativ sein dürfen.“

Die Eltern von Michel allerdings waren, wie wohl viele andere in einer solchen Situation, mit dieser Aufgabe überfordert. Also suchten sie sich bei einer Trauergruppe in ihrer Nähe Hilfe, an die sie ein Trauerbegleiter nach einem kurzen Telefonat vermitteln konnte. Eine kluge Entscheidung, die für Kinder und Angehörige gleichermaßen hilfreich sein kann, wie Eva Terhorst erklärt: „Es ist ganz ratsam, den Kids zu ermöglichen, eine Trauergruppe mit Gleichaltrigen oder eine Trauerbegleitung zu besuchen, damit sie dort über ihre Gefühle sprechen und merken können, dass sie nicht alleine von so einem Schicksal betroffen sind.“ Der Vorteil dieser Gruppen liege außerdem auch darin, dass dort ebenfalls Kinder sind, deren Verlust vielleicht schon etwas länger zurückliegt: „So können sie dann den Neulingen Kraft und Orientierung geben. Eine gute Situation in diesem Zusammenhang für alle, denn es gilt, an Krisen und Herausforderungen zu wachsen und auf diese Weise ist das gut möglich“, so die Trauerbegleiterin.

Wenn liebgewonnene Menschen im nahen Umfeld sterben, tragen Eltern eine doppelte Last: Sie müssen nicht nur persönlich den Verlust verarbeiten, sondern auch für ihre Kinder da sein. Viele Mütter und Väter verbinden mit dieser Tatsache die Verpflichtung, stark oder besonders umsorgend sein zu müssen — oder den Todesfall gar vor ihren Kindern zu verheimlichen. Dabei empfehlen Trauerbegleiter und Psychologen exakt das Gegenteil: Offen und natürlich sein, den Kindern jede Form der Trauer ermöglichen und erlauben — und nicht zuletzt die Grenzen des eigenen Glaubens und Wissen zugeben. Niemand von uns weiß genau, was mit den Menschen passiert, sobald sie gestorben sind. Allerdings bleibt uns die Fantasie, mit der wir uns ein Leben nach dem Tod ausmalen können. Und diese Aussicht spendet Hoffnung und Zuversicht, die Eltern und Kindern gleichermaßen durch die schwierige Phasen der Trauerbewältigung helfen wird.

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