Nur knapp zehn Kilometer sind es aus dem lebendigen Stadtzentrum bis zum Waldfriedhof München im Stadtteil Großhadern. Wer die Tore zu Münchens größtem Friedhof an der Ecke Fürstenrieder Straße und Würmtalstraße durchschreitet, betritt eine grüne Oase der Ruhe. Zahlreiche Münchner Prominente haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Begleiten Sie uns auf einem Spaziergang über dem Waldfriedhof in München und lernen Sie Nobelpreisträger, Schauspieler und lokale Unternehmer kennen.
Der Wald als Friedhof
Deutschlands erster in einen bestehenden Nutzwald eingebetteter Friedhof eröffnete im September 1907. Das innovative Friedhofskonzept stammt von Professor Hans Grässel. Sein Grab findet sich an Station 22 des Spaziergangs. Der Architekt, Stadtplaner und Baubeamte ließ Schulen, Sozial- und Amtsbauten errichten. Mit seinem Baustil setzte er neue Maßstäbe, indem er zweckmäßig, aber unter Einbeziehung des jeweiligen Standorts baute. Zugleich gilt Grässel als bedeutendster Reformator der Friedhofskultur seiner Zeit. Er hat die Pläne für insgesamt vier Münchner Friedhöfe erarbeitet. Auch das Konzept für den Waldfriedhof stammt aus seiner Feder und wurde nicht nur in München, sondern sogar in ganz Europa umgesetzt.
Das Besondere: Beim Parzellieren der Gräber auf dem Waldfriedhof wurde auf Geometrie und sichtbare Grenzen verzichtet. Viele Grabstätten befinden sich inmitten dichter Waldbepflanzung. Ein Beispiel ist das Waldgrab, an dem unser Spaziergang beginnt.
Ein Spaziergang vom Waldgrab bis zu(r) Krone
Nur wenige Schritte sind es vom Waldgrab bis zu den letzten Ruhestätten von Musikwissenschaftler Kurt Huber, Schriftsteller Frank Wedekind (1864 bis 1918) und Maler Fritz von Uhde (1848 bis 1911). Kurt Huber (1893 bis 1943) habilitiert sich 1920 in München in Philosophie und Psychologie und übernahm ein Jahr später eine Privatdozentenstelle für Philosophie. Im Auftrag der Deutschen Akademie sammelte und dokumentierte er im Voralpenland altbayerische Volkslieder. Als er 1941 die Geschwister Scholl kennenlernte, beteiligte er sich an der Herstellung von Flugblättern. Wegen seiner Aktivitäten im Kreis der Weißen Rose wurde er 1943 verhaftet und im Gefängnis Stadelheim hingerichtet.
An der fünften Station unseres Spaziergangs treffen wir auf das Grab des Unternehmers Josef Rodenstock (1846 bis 1932). Ohne Ausbildung begann Rodenstock im Alter von 14 Jahren einen Handel mit Nähnadeln, Knöpfen und selbst hergestellten Einzelteilen für Brillenfassung. Sein Vater stieg kurz darauf ebenfalls in das Geschäft ein. Rodenstock war überzeugt, dass er als Optiker Fehlsichtigkeit ausgleichen könnte. Deshalb gründete er 1877 in Würzburg eine feinmechanische Werkstätte. Das Familienunternehmen produzierte und verkaufte Brillen und andere optische Geräte. Zu den Innovationen der Firma Rodenstock zählen reflexärmere Brillengläser und ein Brillen-Anmess-Apparat. Im Jahr 1884 verlegte Rodenstock den Hauptsitz der Firma von Würzburg nach München.
Die nächsten Stationen im Waldfriedhof München führen uns vorbei an den verwunschenen Gräbern des Mathematikers Ferdinand Ritter von Lindemann (1852 bis 1939) und des Literaturnobelpreisträgers Paul Ritter von Heyse (1830 bis 1914). Wir spazieren weiter entlang der letzten Ruhestätten von Georg Meisenbach (1841 bis 1912), der mit seinen Druckverfahren der Autotypie in den 1890er die Verbreitung von Bildern in Druckerzeugnissen maßgeblich voran brachte, des Architekten German Bestelmeyer (1874 bis 1942) und der von der Stadt München eingerichtete Ehrengrabstätte für Wilhelm Ritter von Borscht (1857 bis 1943), dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt.
Letzte Ruhestätte für Verleger, Nobelpreisträger und Architekten
Vorbei an den Gräbern des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel (1905 bis 1991), des Malers und Bildhauers Franz von Stuck (1863 bis 1928), des Architekten Friedrich Ritter von Thiersch (1852 bis 1921) und des Dermatologen Alfred Marchioni (1899 bis 1965) führt unser Spaziergang zum Grab von Verleger Wilhelm Heyne (1888-1968). Den von Heyne im Jahr 1934 in Dresden gegründeten und 1948 nach München übersiedelten Wilhelm-Heyne-Verlag baut sein Sohn Rolf in den Nachkriegsjahren zu Deutschlands zweitgrößtem Taschenbuchverlag aus. Hierzulande ist der Verlag vor allem für seine rund 300 Star-Trek- und Star-Wars-Romane bekannt. In unmittelbarer Nähe findet sich hier auch das Grab des Buchhändlers und Verlegers Heinrich (Karl Gustav) Hugendubel (1840-1920).
Wenige Schritte entfernt vom Grab der Familie Heyne, folgt an der 16. Station unseres Spaziergangs das Grab des Physiknobelpreisträgers Werner Heisenberg (1901 bis 1976). Heisenberg studierte in München Physik, bevor er sich 1924 bei Max Born in Göttingen habilitierte und im folgenden Winter seinen ersten Studienaufenthalt bei Niels Bohr in Kopenhagen verbrachte. Hier formulierte er 1927 seine Unschärferelation und schuf zusammen mit Bohr die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik. Dafür verlieh ihnen die Nobelpreiskommission 1933 den Nobelpreis.
Am Grab von Michael Ende
Unser Spaziergang führt uns weiter vorbei am Grab es Matterhorn-Nordwand-Erstbesteigers Toni Schmid (1909 bis 1932) zur Ruhestätte von Michael Ende (1929 bis 1995). Sein Grabstein zeichnet ein Bild seiner größten literarischen Werke. Michael Endes Märchenromane „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, „Momo“ und vor allem „Die unendliche Geschichte“ wurden vielfach ausgezeichnet, übersetzt, dramatisiert und verfilmt. Der gelernte Schauspieler lebte lange als Kabarettist, Filmkritiker und Theaterautor in München.
Im Gräberfeld für Priester finden Besucher die Erinnerung an Ludwig Berberich (1882 bis 1965). Der Priester, Dirigent und Komponist war nach seiner Priesterweihe 1907 in Ruhpolding tätig. Er leitete er den Domchor der Münchner Frauenkirche und war Komponist zahlreicher Motetten, Messen und eines Requiems. Seit 1935 wirkte er im Vatikan. Vorbei an der Grabstele des Großadmirals und Begründers der deutschen Hochseeflotte Alfred Tirpitz (1849 bis 1930) geht es zum Ehrengrab des Friedhofsarchitekten Hans Grässel (1860 bis 1939), direkt gegenüber der Aussegnungshalle.
Auf den letzten Stationen unseres Spaziergangs geht es vorbei an den Gräbern für Sänger Fritz Wunderlich (1930 bis 1966), Zirkusdirektor Carl Krone (1870 bis 1943) und Chemiker Adolf Ritter von Baeyer (1835 bis 1917). Als Nachfolger von Justus von Liebig begann er 1875 an der Universität München die Entwicklung einer umfassenden Lehre für den wissenschaftlichen und industriellen Nachwuchs. Für seine Arbeiten über organische Farbstoffe (wie zum Beispiel das viel gerühmte Indigoblau) und hydroaromatische Verbindungen erhielt er 1905 den Nobelpreis für Chemie.
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