Angenommen, in einem Krankenhaus gibt es eine voll belegte Station mit Neugeborenen, die alle ohne Komplikationen auf die Welt gekommen sind. Jedes dieser Babys hat zwei gesunde Eltern im besten Alter, mit guten Genen und anständigen Berufen, so dass es keine Sorgen wegen Ernährung, Unterkunft und Ausbildung geben sollte.

Trotzdem ist bei etwa der Hälfte der Kinder zu erwarten, dass sie früher sterben als die anderen. Der Grund: Sie wurden als Jungen geboren und haben deshalb von vornherein eine niedrigere Lebenserwartung. In Deutschland beträgt die Lücke der durchschnittlichen Lebensdauer zwischen Männern und Frauen ungefähr fünf Jahre. Frauen werden generell älter als Männer. Im Laufe der Zeit gibt es zwar leichte Veränderungen dieser Geschlechterlücke, aber es ist inzwischen weitgehend akzeptiert, dass dieses Phänomen durch die Geschichte hindurch konstant ist. Dabei ist es egal, ob es sich um einen modernen Industriestaat oder einen urtümlichen Landstrich in grauer Vorzeit handelt. Aber wieso ist das so? Warum leben Frauen länger als Männer?

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, warum Frauen älter werden als Männer.

Meist werden als Erklärung die verschiedenen Lebensstile der Geschlechter genannt. Männer arbeiten hart und ziehen in den Krieg, während Frauen daheim kochen und sich um die Kinder kümmern. Männer üben öfter Berufe aus, die ein großes Todesrisiko haben, wie bei Rettungseinsätzen, auf Baustellen, bei der Polizei oder auf hoher See. Diese veralteten Klischees erklären allerdings nicht, warum die Sterberate auch in Friedenszeiten und wenn weniger körperlich gearbeitet wird, immer noch variiert.

Eine gerontologische Studie über Geschlechtsunterschiede bei allgemeiner Lebensdauer untersuchte historische Sterblichkeitsdatenbanken von 37 Ländern. Es kam heraus, dass in allen demografischen Statistiken in jedem einzelnen Jahr Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer hatten. Selbst unter Sterblichkeitsraten bei Kindern kommen Mädchen damals wie heute besser weg. Die Forscher glauben, dass es in der ganzen menschlichen Biologie kein konstanteres Muster als dieses gebe.

Ist das männliche Hirn auf Risiko getrimmt?

Es muss also mehr Gründe geben als bloß die unterschiedliche Rollenverteilung. Hirnforscher glauben, eine biologische Erklärung gefunden zu haben, warum das vermeintlich „starke Geschlecht“ sich öfter in gefährlichen Situationen wiederfindet: Die Entwicklung des Gehirns läuft bei Jungen langsamer ab als bei Mädchen. Das ist besonders beim Wachstum des Frontallappens im Gehirn ausschlaggebend. Dieser Teil ist unter anderem verantwortlich für die Abwägung und Beurteilung von Handlungskonsequenzen.

Menschen mit einem kleineren Frontallappen nehmen eher Risiken in Kauf. Man glaubt, dass dies besonders in der Pubertät dazu führt, dass Jungen sich eher zu waghalsigen Tätigkeiten, wie zum Beispiel Risikohobbys, hingezogen fühlen. Wenn die Entscheidungsfähigkeit so früh in der Entwicklung beeinflusst ist, führt dies auch zu späteren riskanten Lebensentscheidungen, glauben Forscher. Bei aller Sorge um halsbrecherische Teenager sollte natürlich nicht vergessen werden, dass Menschen immer wieder Risiken eingehen müssen, um Fortschritte und Erfolge erleben zu können.

Echte Männer brauchen keine Hilfe!

Die Vermeidung ärztlicher Hilfe ist ein weiterer Grund, der oft angebracht wird, wenn es um die unterschiedlichen Sterberaten geht. Männer halten es öfter nicht ganz so notwendig, zu regelmäßigen Untersuchungen zu gehen, was dazu führt, dass Krankheitssymptome häufiger übersehen werden. Das gilt auch für psychische Probleme. Statistiken sagen, dass Frauen dreimal so oft mit Depressionen diagnostiziert werden – was ja einen Arztbesuch voraussetzt – während Männer sich dreimal so häufig selbst das Leben nehmen. Die Vermutung liegt also nahe, dass die Geschlechter offenbar unterschiedlich mit Sorgen umgehen. Während Frauen eher Hilfe außerhalb suchen, fressen Männer den Schmerz öfter in sich hinein und kompensieren ihn mit schädlichem Verhalten.

In Russland, wo der Wodka in Wassergläsern ausgeschenkt wird und eine Zigarettenpackung für zwei Euro zu haben ist, haben Männer auf Grund des Alkoholkonsums und Rauchens sogar eine dreizehn Jahre kürzere Lebenserwartung als Frauen. Aber wieso ist die Geschlechterlücke auch bei unseren Artverwandten, den Primaten vorhanden? Gorillas und Schimpansen haben weder Schnaps noch Zigaretten und sind sozialen Geschlechterklischees nicht ausgesetzt. Trotzdem überleben die weiblichen Tiere die männlichen genauso konstant wie bei uns Menschen.

Grafik Symbol für männlich und weiblich

Chromosomen und Hormone machen den Unterschied

Es können also nicht nur vernünftigere Verhaltensweisen sein, die zum verlängerten weiblichen Leben führen. Genetisch gesehen liegt der Hauptunterschied zwischen Männlein und Weiblein bei der Verteilung der Chromosomen, also den Paketen, in denen unsere DNS enthalten ist. Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom, Frauen haben zwei X-Chromosome. Genetiker glauben, Vorteile bei den doppelten Chromosomenpaaren zu sehen. X-Chromosome enthalten spezialisierte microRNAs, die den Y-Chromosomen fehlen. Diese Proteinketten sind für die Regulierung des Immunsystems mitverantwortlich, was Forschern zufolge eine Erklärung sein könnte, warum Frauen weniger anfällig für gewisse Gendefekte sind. Männer leiden zudem häufiger unter Krankheiten, die von Störungen des X-Chromosoms ausgehen. Frauen haben hier hingegen dank doppelter Chromosomen immer einen Ersatz zur Hand.

Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen Männer- und Frauenkörpern sind die Hormone. Dem bei Männern dominanten Testosteron werden viele maskuline Charakteristika zugeschrieben. Es soll für eine Menge Kraft im Körper, starken Sexualdrang und die Ausprägung der äußeren Geschlechtsteile sorgen. Aber es wird auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich gemacht – die häufigste Todesursache überhaupt. Eine interessante historische Studie beschäftigte sich mit der Lebenserwartung von Eunuchen am kaiserlichen Hof der koreanischen Yang-Se-Gye-Bo-Dynastie. Über dreizehn Generationen wurden die Lebensspannen der Männer, denen in der Kindheit die Hoden entfernt wurden, analysiert. Tatsächlich hatten die testosteronlosen Kastraten eine im Schnitt 14 Jahre längere Lebensdauer als ihre männlichen Zeitgenossen.

Können Männer doch noch aufholen?

Es scheint also zu einem großen Teil biologisches Schicksal zu sein, warum Frauen generell länger leben als Männer. Aber es ist auch klar, dass Männer und Frauen viel mit ihrem Verhalten dazu beitragen können, ihr Leben zu verlängern. Eine neue Studie aus Großbritannien stützt nun wiederum die These, dass die Gender Gap bei der Lebenserwartung bald sogar geschlossen werden könnte.

Wenn immer weniger geraucht und getrunken wird, Verkehrsunfallzahlen sinken und die medizinische Versorgung weiterhin so gute Fortschritte macht, erhöht sich die Lebenserwartung insgesamt. Schon 2032 sollen Männer dann genauso alt wie Frauen werden können.

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