Einen Großteil des Tages verbringen wir im Netz. Manch einer ist sogar rund um die Uhr online, ob nun zuhause, im Büro oder in der U-Bahn. Ja, man könnte fast sagen, dass wir mittlerweile in einer Art Parallelwelt leben: Wir chatten mit Freunden über die unterschiedlichsten Messenger, liken, kommentieren, teilen Beiträge, posten Fotos und lassen unsere Freunde und Follower an vielen (meist guten) Momenten unseres Lebens teilhaben. Doch was passiert, wenn plötzlich ein naher Angehöriger oder ein Freund stirbt? Bietet uns das World Wide Web auch dann die Möglichkeit, unsere Trauer auszudrücken? Wie verarbeiten wir online den Tod eines lieben Menschen? Und was dürfen wir als Trauernde von Facebook & Co. überhaupt erwarten? Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratorium Deutsche Bestattungskultur, liefert Antworten.
Herr Wirthmann, sind das Internet und speziell die sozialen Medien Ihrer Meinung nach der richtige Ort, um Trauer und Verlust zu verarbeiten?
Das Netz bietet eine ganz neue Dimension, um zu trauern, so viel steht fest. Viele Menschen nutzen Facebook & Co. als Kanäle, um Gefühle zu artikulieren und sich mit anderen, die vielleicht Ähnliches erlebt haben, auszutauschen. Insofern könnte man die sozialen Medien mit der dörflichen Gemeinschaft unserer Vorfahren vergleichen, in der niemand alleine blieb mit seinem Kummer. Digitale Medien haben aber auch ihre Grenzen, derer man sich bewusst sein muss: Sie können nur unterstützen, die menschliche Komponente können sie jedoch niemals ersetzen.
Aber hinter den Profilen in den sozialen Medien stecken doch auch reale Menschen …
Das stimmt, doch durch die sozialen Medien wird uns eine Nähe zu sogenannten Freunden suggeriert, die de facto nicht gegeben ist. Die meisten „Freundschaften“ sind nicht wirklich belastbar. Der Dialog im Netz kann die Interaktion mit einem realen Menschen aus Fleisch und Blut nicht ersetzen. Körperliche Nähe, das In-den-Arm-genommen-werden, nur das kann jene tröstende Kraft entwickeln, die ein Trauernder in seiner verzweifelten Situation braucht. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Pfarrer weiß ich, dass auch Momente des Miteinander Schweigens sehr tröstend sein können: Einfach nur für den Trauernden da sein und nichts sagen, das ist etwas, dass im Netz natürlich gar nicht funktioniert.
Apropos schweigen: Wenn ein Mensch stirbt, bleiben wir oft auch sprachlos zurück. Könnte es nicht auch sein, dass sich die Kontakte einer Person, die ihre Trauer online öffentlich äußert, unter Druck gesetzt fühlen, darauf reagieren zu müssen?
Sicher, aber das ist ein Phänomen unserer Zeit: Über alles lassen wir uns öffentlich aus, plaudern über unser Intimleben und sprechen offen über unsere Homosexualität, was ja auch gut ist. Doch ein Thema ist und bleibt weiterhin ein Tabu und das ist der Tod. Dann plötzlich sind wir sprachlos und finden keine Worte mehr. Dann ist nur noch eine große Hilflosigkeit da. Wir müssen uns einfach damit konfrontieren, dass der Tod zum Leben dazugehört.
Was passiert, wenn sich die Trauerarbeit in die digitale Welt verlagert? Verändert sich dadurch unsere Kommunikation?
Die Art, wie über Schmerz und Trauer in den digitalen Medien kommuniziert wird, hängt stark vom Bildungsgrad, dem gesellschaftlichen Stand und dem Alter der Menschen einer Community ab. Deshalb besteht immer die Gefahr, dass man als Trauernder mitunter auch Reaktionen in den Kommentaren erhält, die der Situation nicht angemessen sind. Und so etwas kann wehtun.
Hätten Sie dafür vielleicht ein Beispiel?
Niemand möchte auf eine SMS mit dem Inhalt „Mein lieber Mann ist gestern Abend nach langer Krankheit verstorben. Ich bin unendlich traurig“ eine Antwort hören wie „Kopf hoch, die Zeit heilt alle Wunden“ und dann am besten noch ein trauriger Smiley dahinter. Manchmal möchte man meinen, dass die Menschen, was ihre Art zu kommunizieren betrifft, nicht unterscheiden können, ob sie sich nun zu einem Grillfest oder einer Trauerfeier verabreden. Was für mich dann aber wieder sehr positiv überraschend war: Auf Instagram, einem Medium, wo sich sonst doch alles nur um Mode, Lifestyle und Glamour dreht, habe ich neulich ein Bild gesehen, auf dem ein Grabstein zu sehen war. Darunter stand „Ich vermisse meine Omi“. Die anderen User haben sich darauf eingelassen, haben Anteil genommen und auch von ihren Trauer-Erfahrungen erzählt.
Gibt es über die sozialen Netzwerke hinaus noch andere virtuelle Räume, in denen Angehörige ihre Trauer thematisieren können? Und was halten Sie davon?
Ja, es gibt durchaus Gedenkseiten und Trauer-Blogs im Internet. Ob man sich dort aufgehoben fühlt, muss letztendlich jeder selbst entscheiden. Vor zehn, fünfzehn Jahren gab es den Versuch, virtuelle Friedhöfe im Netz zu pflegen, mit Lageplänen und der Möglichkeit, virtuell eine Kerze für einen Verstorbenen anzuzünden. Aber das wurde von den Usern wiederum nicht angenommen. Das zeigt: Der Mensch braucht einen konkreten Ort in der realen Welt, an dem er trauern kann. Damit meine ich den Friedhof beziehungsweise das Grab. Geht man heute über einen Friedhof, kann man vereinzelt auch Grabsteine mit einem QR-Code sehen. Scannt man den ein, wird man auf eine Gedenkseite geleitet mit Fotos des Verstorbenen sowie Melodien und Gedichten, die er mochte. Das kann auch eine schöne Idee sein, aber eben nur als Ergänzung.
Manche Menschen behaupten, sie bräuchten nicht zum Grab ihrer Angehörigen zu gehen, sie würden „im Herzen trauern“…
Aber das ist falsch. Der Mensch lebt von äußeren Zeichen einer inneren Empfindung. Nicht anders ist es mit der Sexualität: Man könnte seinem Partner sonst ja auch sagen, dass man ihn liebt, und das würde genügen. Aber das tut es nicht. Wird das Gesagte nicht erst dann spürbar, wenn man in der konkreten Handlung seine Liebe zeigt?
Profile von verstorbenen Personen überführt Facebook mittlerweile ja in sogenannte Gedenkprofile, wo Freunde und Bekannte Anteil nehmen und ihre Trauer ausdrücken können. Kann das Angehörigen Trost spenden?
Es hat sehr lange gedauert, bis sich die Betreiber sozialer Netzwerke mit dieser Problematik befasst haben. Als solche Medien entwickelt wurden, war der Tod eben einfach nicht vorgesehen. Was jene Gedenkprofile betrifft: Mag sein, dass es für Angehörige tröstlich ist, all die Beileidsbekundungen auf dem Profil des Verstorbenen zu lesen. Erfahrungsgemäß ebben die Kommentare und Posts aber auch sehr schnell wieder ab und irgendwann tut sich auf dem Profil gar nichts mehr. Dann zeigt sich einmal mehr, wie oberflächlich und unverbindlich die Kontakte in den sozialen Medien zuweilen sind. Und es zeigt noch einmal die Grenzen der virtuellen Welt in Sachen Trauerarbeit auf.
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