Nach Schätzungen leben in Deutschland etwa 22.000 Kinder mit einer lebensbedrohlichen Krankheit: Herzfehler, Leukämie, schwere Stoffwechselerkrankungen und Krebs gehören hier zu den häufigsten Diagnosen, die zu einem festen Teil des Lebens dieser noch jungen Menschen werden.

Während ihre Altersgenossen unbeschwert spielen, Freunde treffen und eine normale Kindheit erleben, werden die Betroffenen und ihre Familien mit dem Tod konfrontiert. Doch diese Konfrontation muss nicht ausschließlich von Sorgen, Angst und Unglück geprägt sein: Auch die letzten Monate, Wochen und Tage dieser Kinder können durch und durch lebenswert und farbenfroh sein.

Bis zum Teenageralter ist der Tod ein Ort voller Wunder

Die Forschung weiß, dass Kinder erst im Alter von sieben bis neun Jahren ein annähernd realistisches Konzept von der Sterblichkeit entwickeln. Dieses Konzept schließt nicht nur die Vorstellung vom Tod selbst, sondern auch das Bewusstsein sein, dass alle Menschen – sie eingeschlossen – sterben müssen. Bis Kinder diesen Punkt in ihrer Entwicklung erreicht haben, fühlen sie sich geradezu unsterblich: Gefährliche Situationen werden nicht als bedrohlich erkannt, die Neugier scheint stets über die Vorsicht zu siegen.

Ebenso unbegreiflich erscheint die Vorstellung, dass ein verstorbener Mensch nicht mehr existiert. Kinder trauern anders, da sie noch keine realistische Vorstellung von der Vergänglichkeit entwickelt haben, sind Verstorbene für sie schlichtweg „nicht mehr da“. Und das ist wörtlich gemeint: Sie machen eine große Reise oder fallen in eine Art Winterschlaf. Die Erkenntnis und Einsicht, dass mit dem Tod ein Leben aufhört zu existieren, erlangen Kinder hingegen erst im Teenageralter.

Dieses Wissen ist die Grundlage für einen schonenden, bestärkenden Umgang mit Kindern, die an einer lebensgefährlichen Erkrankung leiden und bald sterben müssen. Kinder füllen selbstständig ihre Vorstellung vom Tod und Sterben mit Bildern auf, die meist stark mit ihrer eigenen Persönlichkeit zusammenhängen. Manche stellen sich zum Beispiel eine Welt im Himmel vor, wo ständig gutes Wetter herrscht und die Wolken aus Zuckerwatte sind. Kinder mit Höhenangst denken stattdessen an eine gemütliche Höhle oder ein riesiges Bett, in dem sie so lange ungestört liegen bleiben, wie sie wollen.

Eltern, die ihre Kinder auf das eigene Sterben vorbereiten wollen, sollten an diese Bilder anknüpfen und ihnen nicht etwa neue, fremde Glaubensbilder und Vorstellungen aufzwängen – hier sind sich Therapeuten und Psychologen einig. Auch offene Fragen sind sinnvoll: Eltern und Freunde können ganz konkret nachhaken, ob das Kind weiß, was „Tod“ bedeutet, wie sie sich das Sterben vorstellen, ob sie Verstorbene kennen. Diese Offenheit kann die Kinder zugleich bestärken und beruhigen. Immer wieder können Kinder mit ihrer verspielten Unbedarftheit und fantasievollen Vorstellungen sogar ihre Eltern trösten.

Sprachlosigkeit überwinden, Offenheit wagen

Über den Tod nachzudenken, ist für viele Erwachsene schwer. Noch schwerer ist es, mit dem Kind über das Sterben zu sprechen. Es droht sich eine Sprachlosigkeit einzustellen, in der die Elternteile versuchen, Normalität zu bewahren und die Diagnose zu ignorieren, während Kinder merken, dass irgendetwas nicht stimmt. Diese unausgesprochenen Spannungen schmälern die Lebensqualität aller Beteiligten, Unsicherheit und Angst beherrschen die Kommunikation.

Um diese Sprachlosigkeit zu überwinden, sollten sich Eltern an Kinderpsychologen und Therapeuten wenden. Diese können als Mittler die Kommunikation zwischen Kind und Erwachsenen anregen und helfen, Ängste auf beiden Seiten abzubauen. Die Hauptsache ist, dass der permanente, emotionale Ausnahmezustand beendet und der damit verbundene Stress wieder abgebaut werden kann.

Abseits von offenen Gesprächen können Eltern aber noch mehr tun, um die verbliebene Zeit für ihre Kinder möglichst lebenswert zu gestalten: „Normalität“ ist hier das richtige Stichwort. Wenn es der Krankheitszustand zulässt, empfehlen Ärzte immer wieder die Unterbringung der jungen Patienten zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung. Eltern, die befürchten, der Verantwortung für ihr erkranktes Kind nicht gewachsen zu sein, sollten ihr soziales Netz aktivieren. Freunde können mit dem Kind spazieren gehen, Einkäufe abnehmen oder andere Freizeitaktivitäten organisieren. Das entlastet die Elternteile und garantiert, dass die Kinder Teil eines geregelten Alltagslebens sind.

Weitere Anlaufstellen für Eltern

Wer über dieses soziale Netz nicht verfügt, kann sich auch an Kinderpalliativzentren wenden. Diese Einrichtungen sind spezialisiert darauf, die verbliebene Zeit lebensbedrohlich erkrankter Kinder möglichst lebenswert zu gestalten und die Erziehungsbeauftragten bei diesen letzten Schritten zu unterstützen. Ganz im Sinne der Palliativmedizin stehen hier also nicht lebensverlängernde Maßnahmen im Vordergrund, sondern lebensbereichernde: Musik- und Kunsttherapien werden von den Einrichtungen ebenso angeboten, wie Gesprächskreise oder klassische Psychotherapie.

Auch der Deutsche Kinderhospizverein sollte zu den ersten Anlaufstellen für Eltern gehören. Ein Aufenthalt in einem Hospiz kann sowohl für die Kinder als auch für die Eltern eine hilfreiche Unterstützung darstellen, da sie in ihrem Trauerprozess nicht allein gelassen werden. Auf der Website des Kinderhospizvereins erklären von Fachleuten geschriebene Artikel Fachwörter und Krankheiten aus Diagnosegesprächen, Sammlungen von Geschichten anderer Familien mit lebensbedrohlich erkrankten Kindern nehmen das Gefühl des Auf-sich-allein-gestellt-Seins und Datenbanken zeigen alle örtlichen Beratungsstellen in ganz Deutschland.

Es ist nie leicht, die eigenen Kinder auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Wenn sich Eltern um Offenheit bemühen und die jungen Menschen bis zuletzt zu einem Teil ihres Alltags machen, können sie ihren Kindern zwar nicht mehr Tage schenken – aber dafür die Zeit, die ihnen noch gemeinsam bleibt, unvergesslich machen.

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