Der letzte und schwerste Akt der Beerdigung ist getan. Die Sargträger haben den Sarg an Seilen in die Erde hinabgelassen. Die Trauernden sind einzeln am Grab vorbeigegangen, haben ihre Anteilnahme ausgesprochen, die letzte Ehre erwiesen und eine Schippe Erde oder eine Blume hineingeworfen. Der Körper des Toten ist beerdigt, endgültig aus dem Leben verschwunden. Für die anderen geht es weiter. Auch wenn es vielen Angehörigen schwerfällt – einmal kommt nach dem großen Verlust der Zeitpunkt, an dem man nicht mehr isoliert trauern, sondern sich mit engen Freunden und Verwandten austauschen sollte. Der Leichenschmaus ist ein Trauerritual, bei dem das eigene Leben nach dem Dahinscheiden eines lieben Menschen langsam wieder in den Mittelpunkt rückt.
Die umgängliche aber etwas makabre Bezeichnung Leichenschmaus ist an manchen Orten durch den neutraleren Begriff Trauerkaffee, Beerdigungskaffee oder Nachkaffee ersetzt worden. Je nachdem wo im deutschsprachigen Raum man sich befindet, kann man auf lokale Namen wie Leichentrunk (Süddeutschland), Rüezech (Sauerland), Reuessen (Rheinland) oder Zehrung (Österreich) stoßen.
Traditionell wird der Leichenschmaus im Anschluss an die Beerdigung geplant. In der Regel bietet sich das Friedhofscafé oder ein Restaurant in der Nähe der Begräbnisstätte an, wo die Angehörigen im Vorfeld reserviert haben. Wer will, kann die Zusammenkunft bei sich zu Hause veranstalten. Hier sollte man rechtzeitig vorher planen, was man serviert und wann man es zubereitet.
Eine alte Tradition
Wie alt genau der Brauch des Leichenschmauses ist, ist nicht geklärt. Hinweise auf vergleichbare Rituale gehen sehr weit zurück. Schon in der Antike waren gemeinsame Speisen nach der Beisetzung, auch Totenmahl genannt, üblich. Die alten Römer nannten das Leichenmahl Silicernium. Es wurde im Haus des Verstorbenen oder an seinem Grab eingenommen. Nach der Bestattung gab es noch eine neuntägige Trauerzeit, die ebenfalls mit einem Essen, dem Cena Novemdialis, beendet wurde.
Im deutschsprachigen Raum und in vielen anderen Ländern auf der Welt sind ähnliche Bestattungsriten bewahrt worden. Allerdings gibt es Abweichungen. In Ländern wie Irland und den USA ist es beispielsweise üblich, vor der Beerdigung beim Leichnam zusammenzukommen und ein gemeinsames Glas auf den Verstorbenen zu heben. Dies ist als Totenwache oder Wake bekannt und hat eine ähnliche soziale Funktion wie unser Leichenschmaus. Bei der Ausrichtung von Beerdigungen mit Mitgliedern anderer Kulturen und Religionen ist es also ratsam, die Einzelheiten für das gemeinsame Zusammenkommen vorher zu klären.
Neben der sozialen stand auch die praktische Funktion des Leichenschmauses in früheren Zeiten mehr im Mittelpunkt. Damals waren die Anfahrtswege für die Trauergäste noch länger und beschwerlicher als heute. Die Gäste erwarteten noch eine Stärkung, bevor es wieder nach Hause ging. Deshalb waren damals eher kräftige Mahlzeiten üblich. Heute reicht es meistens, wenn neben Kaffee und Getränken ein paar leichte Happen wie Schnittchen gereicht werden.
Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen
Neben der notwendigen Stärkung nach einer emotionalen Bestattung ist der wichtigste Gedanke hinter dem Leichenschmaus die soziale Integration. Denn genauso wichtig, wie sich nach dem Verlust eines geliebten Menschen persönliche Trauerzeit zu nehmen, ist es, danach wieder in das gesellschaftliche Leben zurückzufinden. Die familiär-freundschaftliche Runde beim Leichenschmaus ist da der beste Ansatzpunkt. Hier können positive Erinnerungen über den Verstorbenen ausgetauscht werden und jeder, der noch etwas von Bedeutung sagen möchte, hat hier eine Gelegenheit dazu. Natürlich sollen Gespräche hier nicht auf den Tod beschränkt sein. Ungezwungene Themen sind willkommen, denn gerade bei diesem Anlass sollen ja auch die heiteren Seiten des Lebens wieder betont werden.
Gemeinsames Essen und Trinken hat seit jeher eine gesellschaftliche Bedeutung, die über die reine Nahrungsaufnahme hinausgeht. Gerade im modernen Alltag wird das oft unterschätzt und vernachlässigt. Ein Mahl, das mit der Familie geteilt wird, verbindet und stärkt die Zusammengehörigkeit. Selbst banale Gesprächsthemen können hier schnell zu grundlegenden Dialogen werden. Deshalb sollte auch der Leichenschmaus nicht unterschätzt, sondern als wichtiges soziales Ereignis behandelt werden. Klar, dass bei solchen Gelegenheiten auch Meinungsverschiedenheiten zutage treten können. Aber Zwistigkeiten sind genau wie die lustigen Anekdoten Teil einer familiären Gesellschaft.
Alkoholische Getränke sind zu diesem Anlass durchaus gestattet und können dazu beitragen, dass die Stimmung gelockert wird. Natürlich sollte man als Gast hier nicht über die Stränge schlagen. In der Regel dauert eine solche Veranstaltung auch selten länger als eine oder zwei Stunden.
Wer ist eingeladen?
Um eine Beerdigung zu besuchen, die die Angehörigen durch Anzeigen öffentlich bekannt gemacht haben, braucht man nicht auf eine persönliche Einladung zu warten. Anders ist es allerdings beim Leichenschmaus beziehungsweise Trauerkaffee. Hier ist es üblich in einer kleineren, engeren Runde geladener Gäste beisammenzusitzen. Wenn im Vorfeld Totenbriefe verschickt werden, können diesen noch individuelle Einladungen für die Nachveranstaltung beigelegt werden. Im Rheinland haben sich die sogenannten „Kaffeekärtchen“ durchgesetzt. Das sind kleine Karten, auf denen knapp die Information gedruckt ist, wann und wo die Trauergemeinde nach der Beerdigung zusammenkommt. Eine Anrede ist hier nicht nötig, damit diese Karten auch noch während der Trauerfeier ausgeteilt werden können, zum Beispiel an unerwartete Gäste, die überraschend aufgetaucht sind.
Muss diese Tradition sein?
Es ist für einige Menschen oft alles andere als einfach, sich nach dem Abschied eines nahestehenden und womöglich plötzlich verschiedenen Menschen einer gesellschaftlichen Verpflichtung zu stellen. Natürlich muss niemand, der sich emotional noch nicht bereit fühlt, einen Trauerkaffee ausrichten.
Allerdings sollte daran gedacht werden, dass diese Veranstaltung auch eine Möglichkeit ist, sich bei denjenigen zu bedanken, die Zeit und Mühen für die Bestattung aufgewendet haben. Auch ist ein Todesfall bei größeren Familien, die weit auseinander wohnen, oft einer der wenigen Anlässe, bei denen alle gemeinsam zusammenkommen. Der Leichenschmaus wird hier fast schon zur gesellschaftlichen Notwendigkeit.
Wer bezahlt den Leichenschmaus?
Für die Beerdigungskostenund die Kosten der Ausrichtung eines Leichenschmauses kommen in der Regel die Hinterbliebenen auf. Wie hoch der Preisfaktor ist, hängt von der Größe der Gesellschaft ab und reicht von zwei Kannen Kaffee und einem Teller Gebäck bis zur vollen Verköstigung einer hungrigen Großfamilie. Wer dies finanziell nicht aufbringen kann, sollte dies bei der Einladung klären, und um Verständnis bitten, wenn jeder seine eigene Rechnung zahlt. Sozialhilfeträger zahlen generell nicht für die Ausrichtung des Leichenschmauses.
Der Leichenschmaus oder Trauerkaffee ist eine uralte Tradition, die nach einem bedrückenden Trauerritual wieder das Leben betont. Dabei wird eine angenehme Mahlzeit mit nützlichen sozialen Bindungen und der notwendigen Rückkehr in das gesellschaftliche Leben verbunden. Er ist keine Pflicht. Aber wer an diesem gemeinsamen Essen teilnimmt, sich austauscht und Fürsorge für die anderen Gäste zeigt, hat schon einen großen Schritt bei der Trauerarbeit getan.
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