Wenn ein Kabarettist ein Buch schreibt, erwartet man nicht unbedingt, dass es sich dabei um einen Roman handelt, der von Bestattungen, Friedhöfen und Trauermusik handelt. Genau das hat der in München geborene Kabarettist und Autor Jess Jochimsen mit seinem Roman „Abschlussball“ getan und dabei sehr erfolgreich Unterhaltung mit nachdenklich stimmenden Themen vereint. Doch starten wir von vorne. Worum geht es überhaupt im Roman?
Rauschende Feste statt Mainstream-Beerdigung
Marten ist eigentlich ein normaler Typ: ruhig und einfach gestrickt, zufrieden mit dem, was er hat. Doch sein Job ist keiner, wie jeder andere: Er arbeitet für ein Bestattungsunternehmen, spielt Trompete auf Beerdigungen. Er kennt die Abläufe von Bestattungen, die Musik, die Reaktionen der Trauernden. Sein Chef sagt: „Es geht nie um die Toten, sondern um die Lebenden“ und hat sich deshalb schon früh dem Wandel der Bestattungskultur angepasst. Alle Musikwünsche werden erfüllt – sei es „Geboren um zu leben“, „Atemlos durch die Nacht“ oder „Time to say goodbye“. Die Musiker spielen jeden der Songs wie gewünscht – doch eigentlich haben sie ganz andere Trauermusik für eine Beerdigung im Sinn.
Um dem Trend entgegenzuwirken richtet Bestatter Berger, Martens Chef, mit seinen Trauermusikern regelmäßig sogenannte Abschlussbälle für Menschen aus, deren Beerdigung sehr einsam von statten gehen würde. Dabei geht es um das genaue Gegenteil als bei den üblichen Beerdigungen: In einem ausgelassenen Fest wird die Trauer zelebriert – mit Essen, Trauerreden und vor allem mit klassischer, traditioneller Trauermusik. Die Gäste: Die Münchner Bohème und Untergrundszene, skurrile Gestalten und exzessive Persönlichkeiten, die sich hemmungslos ihren Gefühlen gegenüber dem Tod und der Musik hingeben.
Überweisungen aus dem Jenseits
Bei einem dieser Abschlussbälle wird ein alter Schulkamerad von Marten zu Grabe getragen. Obwohl er schon seit Jahren nichts von Wilhelm Schocht gehört hatte, bringt ihn die Bestattung aus dem Tritt. Als er dann auf dem Friedhof auch noch die Bankkarte des Verstorbenen findet und rätselhafte Überweisungen von dessen Konto erhält, ist seine Verwirrung komplett.
Marten versucht, das Rätsel um Schocht zu lösen und begibt sich dabei auf eine Spurensuche durch ein fast schon vergessenes, geheimes München – und in seine Vergangenheit. Der Leser erfährt in Rückblicken, die sich perfekt in die Handlung eingliedern, von Martens Kindheit und Jugend, als seine Mutter und sein geliebter Großvater kurz hintereinander verstarben. Marten wird als unscheinbarer Freak dargestellt. Denjenigen, den niemand sieht und der immer am Rand bleibt. Er fühlt sich selbst alt und ausgelaugt, das Leben überfordert ihn. Erst mit seiner Arbeit in der Staatsbibliothek kommt Stabilität in sein Leben – bevor er nur sechs Jahre später mit Mitte 20 wieder alles umkrempelt und Friedhofsmusiker wird. Seine Trompete ist in den unterschiedlichen Lebensphasen stets sein Begleiter – auch wenn das Instrument zwischenzeitlich stumm bleibt.
„Menschen erzählen sich Geschichten, um zu leben. Und für den Tod brauchen sie die Musik.“
Schon seit Menschengedenken ist Musik ein fester Bestandteil von Kultur und Gesellschaft. Musik transportiert Emotionen, konserviert, verstärkt sie. Musik wühlt uns auf, stimmt uns freudig, sentimental oder zu Tode betrübt. Sie funktioniert mit und ohne Worte. Sie verbindet Menschen in ihren Gefühlen. Sie berührt. Oder, um es mit den Worten von Jess Jochimsen auszudrücken: „Musik. Die einfachste Sprache der Welt. Der großartige Menschenvereiner.“
Jess Jochimsen stellt in „Abschlussball“ vor allem die Verbindung zwischen Musik und Trauer in den Vordergrund. Es wird viel gestorben und viel getrauert und die Musik ist oft Teil dessen. Martens Reise in seine Vergangenheit ist auch eine Reise in die Welt der Trauermusik. Es geht um eine geheime Zunft, klassische Melodien und die Rückbesinnung auf Traditionen. Musik fungiert im Roman als Auslöser für Emotionen, als Ventil für Trauer. Die Friedhofsmusiker spielen ihre Instrumente mit Herzblut, sie identifizieren sich über ihre Musik und die Stücke, die sie bei den Abschlussbällen spielen. Dass der Autor selbst auch Musiker ist, überrascht nur wenig.
Eine leise Geschichte, meisterlich komponiert
Was an „Abschlussball“ am meisten beeindruckt ist wie es der Autor Jess Jochimsen schafft, Themen wie Trauer und Depression unterhaltsam und zugleich anrührend zu verpacken. Er schreibt mit viel Einfühlungsvermögen und trifft dabei den richtigen Ton. So schafft er es mit seiner meisterlich komponierten Geschichte auch Nicht-Musiker in seinen Bann zu ziehen. Er zeichnet skurrile Figuren und Situationen, nähert sich dem Tod, der Musik und der Bestattungskultur an und vermeidet es dabei, plump oder unüberlegt zu schreiben. Trotz (oder gerade wegen) der skurrilen Gestalten und urkomischen Szenen ist „Abschlussball“ ein einfühlsames Buch, eine leise Geschichte – Unterhaltung mit Niveau.
„Abschlussball“ von Jess Jochimsen erscheint am 26. Oktober 2018 bei dtv im Taschenbuch und ist als gebundene Ausgabe bereits erhältlich.
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