Wenn es in den Nachrichten um Exekutionen geht, erfährt man oft, was der Hinzurichtende sich als letzte Mahlzeit gewünscht hat. Besonders in den USA werden die Daten über Hinrichtungen meist öffentlich einsehbar gemacht. Dort kann sich jeder ein Bild davon machen, wer welche letzte Mahlzeit erhalten hat. So hat zum Beispiel der dreifache Mörder Oscar Ray Bollin Jr. ein Rib Eye Steak mit Backkartoffel und Sour Cream, Salat und Knoblauchbrot, eine Cola und ein Stück Zitronenkuchen verdrückt, bevor er am 1. Juli 2016 in den USA mit der Giftspritze hingerichtet wurde. Andere sind da bescheidener: Christopher Brooks aus Alabama reichten zwei Erdnussbutterkekse und eine Dose Dr. Pepper. Er bekam die Giftspritze am 21. Januar 2016, 24 Jahre nachdem er wegen Vergewaltigung und Mord verurteilt wurde.

Auch bei historischen Kriminalfällen kennen wir oft noch das Henkersmahl der notorischen Verbrecher. Dem ehemaligen irakischen Staatschef Saddam Hussein wurden Hähnchen und Reis angeboten, er lehnte dies ab und wurde mit leerem Magen gehängt. Der Bombenattentäter von Oklahoma, Timothy McVeigh, verspeiste einen Liter Pfefferminzeis mit Schokostücken. John Wayne Gacy, einer der schlimmsten Serienmörder, der mindestens 33 Jungen umbrachte, bekam zwölf Shrimps, Erdbeeren und einen Eimer mit frittierten Hähnchenteilen. Vor seiner Verurteilung hat er ein KFC-Restaurant geleitet.

Woher kommt die Henkersmahlzeit?

Der absehbare Tod und reichhaltiges Essen haben eine lange gemeinsame Geschichte. Wir wissen, dass römische Gladiatoren, die oftmals verurteilte Verbrecher waren, vor ihrem Kampf um Leben und Tod noch ein üppiges Mahl erhalten haben. Die Azteken haben ihren zum Tode verurteilten Kriegsgefangenen sogar ganze Feste gewidmet. Danach wurden die Gerichteten allerdings selber zum Gericht: Ihr Fleisch wurde zum rituellen Essen für die siegreichen Krieger.

Henkersmahlzeiten, in der Art, wie sie heute noch vollzogen werden, kennen wir seit dem späten Mittelalter. 1435 ist solch ein Vorgang erstmals in Deutschland erwähnt worden. Den Todeskandidaten wurden Hühner, Gänse, Fleisch und eine Menge Alkohol vorgesetzt. Damals war es auch noch der Henker selber, der das Essen servierte. In England wurde es im Laufe des 16. Jahrhunderts üblich, dass man auf dem Weg zur öffentlichen Hinrichtung mit dem Fallbeil noch einmal in einem Pub haltmachte. Hier konnten die Todgeweihten sich noch einmal so richtig volllaufen lassen – wenn sie es sich leisten konnten. Geld und gesellschaftlicher Status haben bestimmt, wie üppig das letzte Mahl aussehen würde.

Menschen haben damals die Todesstrafe schon für Kleinigkeiten wie Diebstahl oder Majestätsbeleidigung erhalten und waren nicht immer in dem Ausmaß stigmatisiert wie etwa Serienmörder heute. Das „Hangman’s Meal“, wie es zu dieser Zeit erstmals genannt wurde, zeigte, dass die bevorstehende Exekution keine persönlichen Gründe hat, und der Henker lediglich den Willen der Krone ausführt. Gleichzeitig gab es aber auch Befürchtungen der düsteren Art…

Essen in verschiedene Schüsseln

Christliche Nächstenliebe oder abergläubische Angstvorstellung?

Hexen, Zauberer und andere, die sich mit der okkulten Seite unserer Welt beschäftigten, wurden im Mittelalter sehr gefürchtet. Die Menschen glaubten, mit Flüchen belegt und von Dämonen heimgesucht werden zu können. Jemand der eine Gräueltat begehen konnte, könnte auch leicht mit dem Teufel im Bunde sein. Demnach sollte er seinen Weg zum Schafott möglichst wohlgestimmt und mit vollem Magen antreten. Je besser die letzte Mahlzeit für den Gerichteten ausfiel, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er zu seinen Richtern und Henkern als übler Geist wiederkehre – so glaubten die Menschen damals.

Diese Form des „sich gut stellen“ fand in der christlichen Tradition einen positiveren Ausdruck. Das letzte Abendmahl war schon immer ein Zeichen dafür, dass Essen auch Versöhnung bedeuten kann. Selbst seinem Verräter Judas hat Jesus noch Wein und Brot vorgesetzt. Bei seiner eigenen Kreuzigung hat er seinen Mitgefangenen vergeben. Im Mittelalter war der Brauch der Henkersmahlzeit folglich neben den abergläubischen Vorstellungen ebenso eng mit dem Symbol des Abendmahls verbunden. Das Annehmen der letzten Mahlzeit implizierte, dass der Verurteilte das Urteil akzeptierte und seinem Henker vergab.

Eine demokratisch-humanistische Tradition?

Als sich im 17. Jahrhundert die britischen Kolonien in Amerika etablierten, war bei den dort vollzogenen Exekutionen allerdings keine Spur mehr von üppigen Henkersmahlzeiten. Erst in den 1830ern wandelte sich im Sinne der Aufklärung die Grundidee der Bestrafung. Ein Verbrecher wurde nicht mehr aus Gründen der Vergeltung eingekerkert, sondern, um ihm die Gelegenheit zu Bußfertigkeit und Rehabilitation zu geben. Demnach wurden auch die Tötungsinstrumente angepasst: Galgen und Guillotine wurden durch die „humanen“ Methoden des elektrischen Stuhls und der Giftspritze ersetzt. In dieser Zeit kehrt auch die Henkersmahlzeit wieder, als letzter menschlicher Akt in einem demokratisch ausgeführten Hinrichtungsprozess.

In Westdeutschland wurde die Todesstrafe 1945 abgeschafft, aber davor wurden auch hier die Wünsche von zum Tode verurteilten Kriminellen berücksichtigt. Bevor Peter Kürten, der sogenannte Vampir von Düsseldorf, sich 1931 auf die Guillotine legte, wurden ihm Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln und eine Flasche Weißwein vorgesetzt. Er verlangte Nachschlag und bekam diesen auch.

2011 hatte ein Senator in Texas allerdings genug von Vergebung und Versöhnung: Nachdem ein Häftling sich ein opulentes letztes Mahl bestellt, aber keinen Bissen davon angerührt hatte, nannte der Politiker den Brauch „Ein extrem unangemessenes Privileg“. Die Opfer der Verbrechen hätten diese Wahl ja auch nicht gehabt. Seitdem ist die Henkersmahlzeit in Texas abgeschafft.

Die Abwehr dunkler Mächte, Vergebung, Versöhnung, aufgeklärter Humanismus: Die Begründungen für den Brauch der Henkersmahlzeit spiegeln den jeweiligen Zeitgeist wieder. Es ist den Menschen offensichtlich schon seit langem wichtig, dass jemand, der dem Tode geweiht ist, nochmal eine anständige Mahlzeit bekommt. Damals wie heute wurden Streitigkeiten oft und gerne mit einem gemeinsamen Essen beigelegt. Eine gute Mahlzeit scheint so einen hohen Stellenwert in unserer Psyche zu haben, dass wir sie nicht einmal Verbrechern und unseren ärgsten Feinden verwehren wollen.

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