Second Screen: Ein Begriff, der vor rund zehn Jahren erfunden wurde, um ein Synonym für das Smartphone zu finden, das während des laufenden Fernsehprogramms parallel genutzt wird. Längst aber verfolgt uns dieser „Second Screen“ auch noch dann, wenn wir Couch und Fernseher gegen Arbeitsplatz, Bett oder Freundeskreis eingetauscht haben: 89 Prozent der Deutschen besitzen mittlerweile ein Smartphone, selbst die Altersgruppe der weniger technikaffinen Menschen zwischen 65 und 75 Jahren bringen es mittlerweile auf 80 Prozent. Diese Zahlen ermittelte 2019 das Wirtschaftsberatungsunternehmen Deloitte und bestätigt damit den Eindruck, den viele Menschen mittlerweile beim Spaziergang durch die Straßen selbst bekommen: Gefühlt jeder hängt am Smartphone.

Und das ist kein Wunder: Längst ist das Handy mit seinen zahlreichen Funktionen zum fast unverzichtbaren Werkzeug geworden, um unseren Alltag zu führen und zu meistern. Wir pflegen Freundschaften, vereinbaren Meetings, schreiben E-Mails, fotografieren Essen und Haustiere, halten Diäten oder spielen mit unseren Smartphones, die für jeden Bereich des Lebens die passende App bereithalten. Was praktisch und sinnvoll klingt, birgt aber auch Schattenseiten, die vielen vertraut vorkommen dürften: Eifersucht beim Vergleich von Like-Zahlen und geteilten Erfolgserlebnissen, Überarbeitung nach der Beantwortung noch offener Nachrichten, intime Momente, die durch den Blick auf das Display gestört werden. Ist das ein Abtausch, der sich am Ende für uns lohnt? Oder verringert das Smartphone etwa doch unser Glück?

Der „Second Screen“ beeinflusst uns mehr, als viele glauben

Fakt ist: Die erfolgreichsten Apps sind so gestaltet, dass wir möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen. Der Grund dafür ist einfach: Je mehr Zeit wir in sozialen Netzwerken, digitalen Spielen oder anderen Apps verbringen, desto mehr Werbung können die Betreiber und Tech-Giganten an uns ausspielen — eine ihrer wichtigsten Einkommensquellen.

Aber auch die menschliche Psyche ist anfällig für die Mechanismen von Social Media: Likes, Retweets, Herzchen und Daumen nach oben schütten das Glückshormon Dopamin in uns aus. Wir fühlen uns beliebt, angenommen, im Zentrum der Aufmerksamkeit — und wollen mehr davon. Diese Sucht nach sozialer Teilhabe treibt uns immer wieder in diese Netzwerke zurück und motiviert uns dazu, „aktiv“ und „online“ zu bleiben. Selbst, wenn wir das eigentlich gar nicht wollen. Denn die sogenannte „Fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen, ist häufig größer als das ungute Gefühl, dass wir eigentlich gerade gar keine Lust auf unsere Streams und Timelines haben.

Der Second Screen hat uns fest im Griff. Durch das Smartphone ist man dauerhaft erreichbar und immer auf dem neusten Stand.

Doch auch auf einer weniger unbewussten Ebene hat uns das Smartphone längst im Griff: Vor allem die Kommunikation mit unseren Freunden und Arbeitskollegen funktioniert mittlerweile fast ausschließlich über diverse Messenger, die mit dem Handy bedient werden. Einerseits ist das gut: Nie war es so einfach, Kontakt mit weit entfernten Menschen zu halten, die heute nur einen Klick weit entfernt sind. Andererseits sind wir so stark wie noch nie auf diese Technik angewiesen, um unser Sozialleben aufrechtzuerhalten. Wie abhängig wir von diesem Gerät wirklich sind, merken viele erst, wenn der Akku unverhofft leer ist oder das Smartphone doch einmal verloren geht.

Der „Second Screen“ birgt viele Risiken und Nebenwirkungen

Digitaler Burnout ist ein Phänomen, mit dem sich viele Smartphone-Nutzer im Laufe ihres Lebens mindestens einmal auseinandersetzen müssen. Einer der Forscher, die sich intensiv mit dieser besonderen Form der psychischen Dauerbelastung auseinandersetzen, ist der Forscher Alexander Markowetz der 2018 in einer Studie mit 60.000 Teilnehmern ermittelte, dass im Schnitt täglich alle 18 Minuten das Smartphone in die Hand genommen wird, um nach Neuigkeiten zu sehen. Was viele Menschen als „Multitasking“ umschreiben, nennen Markowetz und seine Kollegen schlichtweg „Ablenkung“.

Dass Multitasking, also das gleichzeitige Erledigen mehrerer Aufgaben oder Prozesse, ein Mythos ist, haben britische Forscher längst herausgefunden: Wer sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentriert, kriegt nichts davon wirklich gut hin — oder scheitert komplett. Wer liest, kann nicht gleichzeitig zuhören, wer Nachrichten auf dem Smartphone liest, kann nicht gleichzeitig aktiv an einem realen Gespräch teilnehmen. Wer das trotzdem versucht, macht sich früher oder später kaputt und landet im digitalen Burnout.

Doch auch in anderen Bereichen des Lebens machen sich die Risiken des häufigen oder unreflektierten Smartphone-Gebrauchs bemerkbar, beispielsweise im Straßenverkehr. Gegenüber dem Tagesspiegel bestätigte Stefan Petersen, Sprecher der Berliner Polizei, 38 Fälle im Jahr 2018, in denen Mobiltelefone nachweislich als Ablenkung im Straßenverkehr dienten und damit einen Unfall herbeiführten. Gleichzeitig gab es im gleichen Zeitraum fast 21.000 Ordnungswidrigkeiten, die im Zusammenhang mit „verbotswidrig genutzten elektronischen Geräten“ standen. Doch es wird noch erschreckender: Wie Psychologen der TU Braunschweig in einem Feldversuch ermittelten, nutzt durchschnittlich jeder zehnte Fahrer auf der Autobahn mindestens einmal pro Fahrt das Smartphone am Steuer.

Dieser Second Screen kann allerdings auch ganz unmittelbar eine Bedrohung für die eigene, körperliche Gesundheit darstellen: Zwar bleibt es weiterhin bestritten, ob die Geräte eine Strahlung abgeben, die uns Menschen schaden können, gleichzeitig aber sind die neuen Standards LTE und 5G bisher noch kaum erforscht.

Klar ist allerdings, dass die exzessive Nutzung von Smartphones in direktem Zusammenhang mit Haltungsschäden und Muskel-Skelett-Erkrankungen verbunden sind: „Whatsappitis“ nennen Fachleute die besondere Form der Sehnenscheidenentzündung, die durch das gehäufte Wischen und Tippen mit dem Daumen auftritt. Schlafforscher merken außerdem seit Jahren an, dass die Nutzung des Smartphones kurz vor dem Einschlafen die Schlafqualität beeinträchtigt. Schuld ist dabei wohl der Farbton des Displays, der den Körper hemmt, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten.

Der richtige Umgang mit dem Smartphone ist nicht leicht

Dass das Smartphone ein Gerät voller Chancen, Potenzial und Möglichkeiten ist, bleibt natürlich unbestritten. Die Vorteile der vereinfachten Kommunikation und vielen Apps, die unseren Alltag und das Zusammenleben erleichtern oder verbessern können, liegen auf der Hand. Trotzdem birgt die häufige, unkontrollierte Nutzung des Smartphones auch Risiken, die sich Nutzer bewusstmachen sollten.

Dabei helfen kann ironischerweise das Smartphone selbst: Apps, die bei der Konzentration helfen sollen, sperren beispielsweise für eine festgelegte Zeit alle Funktionen des Geräts, damit sich die Nutzer auf Gespräche oder andere, dringende Aufgaben abseits des „Second Screens“ konzentrieren können. Außerdem erlauben moderne Smartphones mittlerweile die genaue Nachverfolgung der Zeit, die man in den verschiedenen Apps und Programmen verbraucht hat. Damit haben Smartphone-Besitzer die wichtigsten Werkzeuge um ihren eigenen Handygebrauch zu überwachen, zu kontrollieren — und, wenn nötig, auf ein gesundes Maß anzupassen.

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