Wer vom Prader-Willi-Syndrom hört, kann sich meist nicht viel darunter vorstellen. Vielleicht hat man es zufällig aufgeschnappt, aber was es bedeutet, wenn man davon betroffen ist, wissen nur wenige. Ähnlich ergeht es Eltern, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt ihres Kindes diese Diagnose erhalten. Zwar merken sie bereits früh, dass mit ihrem Baby irgendetwas nicht stimmt. Einen Reim können sie sich darauf aber nicht wirklich machen.
Die Symptome des Prader-Willi-Syndroms
Das Prader-Willi-Syndrom zeigt sich bereits während der Schwangerschaft. Die werdenden Mütter spüren kaum Bewegungen oder Tritte ihres Kindes, obwohl es im Mutterleib ausreichend versorgt ist. Diese Inaktivität setzt sich nach der Geburt fort. Die Säuglinge sind schlaff, zeigen wenig Bewegung und Aktivität und haben große Probleme mit ihrem Schluckreflex. Dies kann dazu führen, dass sie über eine Magensonde ernährt werden müssen, um alle wichtigen Nährstoffe zu erhalten.
Das Thema Untergewicht legt sich allerdings sehr schnell, denn sobald das Kleinkindalter erreicht wird, rückt ein für PWS sehr spezifisches Symptom in den Fokus: Die Betroffenen verspüren kein Sättigungsgefühl und entwickeln einen nahezu unstillbaren Hunger. Doch das alleine ist nicht das Problem. Hinzu kommt, dass die Kinder weiterhin einen geringen Bewegungsdrang verspüren und ihr Körper nur etwa zwei Drittel der Kalorien benötigt wie der eines gleichaltrigen Kindes. Die Regulierung der Nahrungsaufnahme wird somit ein Dauerthema in den Familien und muss ständig kontrolliert werden. Auch auf die Zahnhygiene muss verstärkt geachtet werden, denn durch einen zähen Speichelfluss entwickelt sich schnell Karies.
Es ist aber nicht nur das Essen, das den Alltag zu einer Belastungsprobe werden lässt. Die Betroffenen benötigen in ihrer geistigen, körperlichen und motorischen Entwickelung ein hohes Maß an Unterstützung. Sie besuchen deswegen häufig Förderschulen, die ihnen das in einem geschützten und geregelten Rahmen ermöglichen.
Wenn Dinge von der Regel abweichen oder Versprechen gebrochen werden, endet das nicht selten in regelrechten Tobsuchtsanfällen, bei denen Dinge durch die Gegend geschmissen werden oder sogar autoaggressives Verhalten an den Tag gelegt wird. Im Idealfall sind die Tage klar strukturiert und Abweichungen transparent kommuniziert. Mit Zeitdruck oder gar Stress kommen die Kinder nur schwer klar.
Ein weiteres Merkmal von PWS ist, dass die primären Geschlechtsorgane unterentwickelt sind und die Pubertät daher sehr spät und auch nur in abgeschwächter Form eintritt, was zur Folge hat, dass männliche Betroffene unfruchtbar sind. Ebenfalls charakteristisch ist die Körpergröße, denn Menschen mit dem Prader-Willi-Syndrom bleiben sehr klein. Frauen erreichen eine durchschnittliche Körpergröße von 146cm, Männer von 152cm.
Wann wurde das PWS entdeckt und was ist die Ursache?
Erstmals beschrieben wurde das Prader-Willi-Syndrom im Jahr 1956 von den drei Zürichern Kinderärzten Andrea Prader, Alexis Labhart und Heinrich Willi, die auch die Namensgeber sind. Diese konnten ihrerseits jedoch lediglich die Symptome beschreiben – die Ursache konnte erst später geklärt werden.
Beim PWS handelt es sich um eine Erbkrankheit, die auf einem Gendefekt des 15. Chromosoms des menschlichen Bauplans basiert. Der Defekt kann drei unterschiedliche Ursachen haben. Die häufigste Ursache mit 70% ist die sogenannte „Deletion“, was bedeutet, dass das 15. Chromosom nicht vollständig ausgebildet ist und wichtige Informationen fehlen.
Bei 25 bis 30 Prozent der Betroffenen liegt eine sogenannte uniparentale Disomie (UPD) vor. Hier gibt es statt einem mütterlichen und einem väterlichen 15. Chromosom lediglich zwei mütterliche, wodurch es ebenfalls zu einem Informationsverlust kommt.
Eine dritte Ursache kann ein „Imprinting Fehler“ sein, dieser tritt jedoch nur bei ca. 1% der Fälle auf. Die Gene sind dort sowohl beim mütterlichen, als auch beim väterlichen 15. Chromosom kaputt.
Der Gendefekt ist bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Schwangerschaft vorhanden und führt beim Fötus zu einer Prozessveränderung im Hypothalamus. Dieser stellt eine wichtige Schaltzentrale im Gehirn dar und steuert neben der Nahrungsaufnahme auch Dinge wie Körpertemperatur, Blutdruck, Atmung, Sexual- und Gefühlsverhalten, sowie die Produktion von Hormonen.
Wie wird das Prader-Willi-Syndrom diagnostiziert?
Das PWS kann bei Säuglingen kurz nach der Geburt mittels eines Bluttests nachgewiesen und damit auch und eine der drei Ursachen festgestellt werden. Ein Nachweis auch bereits während der Schwangerschaft mithilfe einer Fruchtwasseruntersuchung möglich. Das funktioniert jedoch nur, wenn zusätzlich auch eine sogenannte Methylisierungs-Analyse durchgeführt wird. Da die Symptome während der Schwangerschaft jedoch sehr unspezifisch sind, wird dies in den seltensten Fällen durchgeführt.
Je früher das Syndrom erkannt wird, desto früher kann die Entwicklung des Neugeborenen gefördert und in die richtige Richtung gelenkt werden, indem man zum Beispiel Wachstumshormone verabreicht oder die Familien aufklärt.
Wie wird das Prader-Willi-Syndrom therapiert?
Das PWS an sich ist nicht heilbar und gegen Symptome wie zum Beispiel die Esssucht gibt es keine ursächliche Therapie. Dennoch gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die den Alltag erleichtern und die gesamte Familie unterstützen können.
Ein wichtiges Element stellt dabei die Physiotherapie dar, die insbesondere Säuglinge bei der Nahrungsaufnahme unterstützt und so eine Magensonde vermeiden kann. Auch kann es den Babys helfen, Muskelverspannungen zu lösen und Bewegungsabläufe zu erlernen.
Kinder mit PWS fallen unter das Frühfördergesetz, das Familien mit behinderten Kindern dabei unterstützt, die individuellen Entwicklungsvoraussetzungen von Anfang an zu verbessern. Die Therapieformen erfolgen hier individuell, je nachdem an welchen Stellen das Kind Unterstützung benötigt. Das Angebot reicht von tiergestützten Therapien, über Logopädie, Physiotherapie bis hin zu Psychomotorik.
Die größte Herausforderung stellen das Thema Essen und das damit drohende Übergewicht dar. Die Familien benötigen einen genau strukturierten Mahlzeitenplan, der auf unvorhergesehene Ereignisse aus dem sozialen Umfeld reagieren kann und ein Rahmenprogramm, das das Kind zu ausreichend Bewegung animiert. Mittlerweile gibt es zahlreiche Vereinigungen und Selbsthilfegruppen, die den Eltern Tipps und Tricks aus dem echten Leben geben und sie auf die unterschiedlichen Lebensphasen vorbereiten.
Wie bei vielen anderen Krankheiten auch kann das soziale Umfeld große Unterstützung leisten, indem es zuhört, ernst nimmt und Unterstützung leistet und nicht gegen gesetzte Strukturen arbeitet.
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