Als Rabenmutter wird im deutschen Sprachraum eine Frau bezeichnet, die sich nicht oder nur wenig um die Erziehung ihrer Kinder kümmert und keinen Gedanken an die richtige Erziehungsmethode verschwendet. Der abwertende Begriff wird bei uns bereits seit dem Mittelalter gebraucht. Dabei ist schon der Vergleich aus der Natur einem Irrtum unterlegen. Die Menschen haben wohl damals junge Rabenvögel bei ihren Versuchen, flügge zu werden, beobachtet.
Anders als manch andere Vögel verlassen Raben aus eigenem Antrieb das Nest, ohne dass die Eltern vorangehen. Dabei wirken die Jungtiere noch sehr unbeholfen und schutzlos. In Wirklichkeit werden sie aber von ihren Eltern aus der Ferne genau beobachtet. Raben gehören zu den klügsten Vögeln überhaupt und sie wären längst schon ausgestorben, wenn ihre elterliche Fürsorge unzureichend wäre.
In Deutschland kam es früher manchmal vor, dass französische Mütter als Rabenmütter tituliert wurden. Aber woher stammt dieses Vorurteil? Würden wir unsere europäischen Nachbarn in Frankreich danach fragen, würden wir nur Kopfschütteln ernten. Selbst der Ausdruck Rabenmutter ist dort gänzlich unbekannt. Das hat nicht nur mit der Sprache zu tun. Auch kulturell sind die Auffassungen unterschiedlich, was das Kinderkriegen und die Erziehung angeht.
Deutschland tut sich schwer mit seiner Geburtenrate
Die deutschen Geburtenraten sind traditionell unter dem weltweiten Durchschnitt. Im Jahr 2015 hat eine Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts Deutschland sogar als weltweites Schlusslicht ermittelt, was landesweite Geburtenraten pro tausend Einwohner betraf. Sozialwissenschaftler begründen diese schwache Gebärfreudigkeit mit drei Faktoren: Schulische und berufliche Ausbildungen dauern hier verhältnismäßig lange. Die Menschen wollen erst sichergehen, dass sie beste Voraussetzungen für eine berufliche Karriere haben, bevor sie ans Kinderkriegen denken. Gleichzeitig wollen sie am sozialen Leben teilhaben. Das führt dazu, dass deutsche Frauen eher selten Kinder in ihren Zwanzigern bekommen. Ein weiterer Grund ist, dass man auf materiellen Wohlstand verzichten muss, wenn man sich für Kinder entscheidet. Kosten, die viele zunächst nicht in Kauf nehmen wollen. Zudem gibt es hier nur unzureichende Möglichkeiten für die Kinderbetreuung.
Redet man über weltweite Geburtenraten, so kommt oft die hohe Anzahl von Kindern in Entwicklungsländern zur Sprache. Orte, die wirtschaftlich instabil sind, in denen es an Bildungseinrichtungen mangelt und wo ein Grundeinkommen kaum für Lebensmittel reicht. Die Lebenssituation ist sehr viel schlechter als in Europa und deswegen werden Kinder dort einfach als Alterssicherung gesehen. Für Familien in Deutschland, wo es soziale Sicherungsnetze gibt und Rentenversicherungen für Berufstätige erschwinglich sind, ist es nicht unbedingt nötig, dass die Kinder ihre Eltern im Alter mit ernähren müssen.
Franzosen bekommen gerne Kinder
Blicken wir aber über die Grenze nach Frankreich, sehen wir, dass unsere Nachbarn mehr Kinder bekommen als wir. 2016 hatten die Franzosen die höchste Geburtenrate in Europa, mit durchschnittlich 1,92 Kindern pro Frau. Deutschland lag zu diesem Zeitpunkt mit 1,59 Kindern deutlich dahinter. Aber warum ist das so? Auch die Franzosen wollen eine gute Ausbildung haben, am Wohlstand teilhaben und erfolgreich im Beruf sein.
Ein wichtiger Grund dürfte sicherlich in der Familienpolitik zu finden sein. Im Gegensatz zu Deutschland, wird es jungen Müttern in Frankreich sehr einfach gemacht, ihre Kleinkinder in Obhut zu geben, während sie ihrem Beruf nachgehen. Es gibt flächendeckend Betreuungseinrichtungen, in denen Eltern ihre Kinder ganztags unterbringen können. Schon ab der frühesten Kindheit ist es Müttern möglich, kostenlose oder stark bezuschusste Kindertagesstätten in Anspruch zu nehmen. Künftig soll es sogar Pflicht werden, Kinder ab drei Jahren in die Vorschule zu bringen, wo sie spielerisch auf das Schulsystem vorbereitet werden. Und einen Mangel an Tagesmüttern gibt es hier auch nicht.
Ausreichend finanzielle Hilfen
Kaum ein Land hat solch eine familienfreundliche Politik wie Frankreich. Je nach Einkommen und Familienverhältnis bekommt jeder, der Kinder unterhält, staatliche Zuschüsse in irgendeiner Form. Kindergeld wird in Frankreich erst ab zwei oder mehr Kindern gezahlt. Außerdem gibt es Unterhaltsleistungen und Zulagen für die Versorgung. Durch solche Zuschüsse werden junge Menschen geradezu ermutigt, eine Familie zu gründen.
Die breiten Angebote der Kinderbetreuung und die staatlichen Hilfen machen es jungen Müttern möglich, schon kurz nach der Geburt wieder zur Arbeit zu gehen. Frauen und Karriere plus das Thema Kinderkriegen sind in Frankreich lange nicht so ein Widerspruch wie in Deutschland.
Ist eine Trendwende in Sicht?
Zwar liegen die französischen und deutschen Geburtenraten immer noch weit auseinander, aber an aktuellen Statistiken lässt sich eine Annäherung der beiden Länder ablesen. Denn auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich noch abgeschlagen ist, sind die Zahlen in den letzten Jahren wieder gestiegen. Wissenschaftler erklären diesen Sprung mit der erhöhten Zahl von Müttern im Alter zwischen 30 und 37 Jahren. Gleichzeitig fallen die Geburtenraten in Frankreich, wofür Forscher noch keine Erklärung haben.
Ob die jüngsten Zahlen eine Trendwende oder nur eine momentane Ausnahme sind, wird sich zeigen. Fest steht aber, dass es in Frankreich kein Widerspruch ist, Karriere zu machen und gleichzeitig Kinder großzuziehen. Auch wenn die Kleinen während der Arbeitszeiten betreut werden, spricht dort niemand von Vernachlässigung. Im Gegenteil – es ist ja löblich und vorbildlich, wenn beide Elternteile für familiären Wohlstand sorgen können. Kein Wunder, dass Rabenmutter hier ein Fremdwort ist.
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