Was bedeutet Niedrigzins?
Der Zins ist der Preis des Geldes. Leiht man als Gläubiger einem Schuldner Geld, dann möchte man für die Zeit der Überlassung dieses Geldbetrages entschädigt werden – dies erfolgt durch die Zahlung von Zinsen. Schließlich verzichtet man für einen bestimmten Zeitraum auf die Verfügbarkeit des verliehenen Geldes. Für Ersparnisse auf einem Bankkonto und bei Anleihen werden in einer Niedrigzinsphase kaum noch oder gar keine Zinsen vergütet. Man spricht deswegen auch von einer Nullzinsphase.
Die Konsequenzen dieses niedrigen Zinsniveaus kann man besonders anschaulich mit dem Zinseszins-Effekt verdeutlichen. Legt man seine erhaltenen Zinsen wieder an – verleiht also seine Zinseinnahmen erneut – werden Zinsen wiederum auf die bereits erwirtschafteten Zinsen vergütet. Dieser Effekt wird von zwei Faktoren beeinflusst: Zins und Zeit. Je höher die vereinnahmten Zinseinnahmen sind und je länger der betrachtete Zeitraum ist, desto höher ist das Ergebnis des Zinseszinses-Effektes. Im Umkehrschluss wird deutlich, dass in einer Niedrigzinsphase umso mehr Zeit für erkennbare Zinseszins-Effekte notwendig ist. Und bei einem Zinssatz von 0% kann erst gar kein Zinseszins-Effekt entstehen.
Welche Faktoren beeinflussen die Höhe des Zinses?
Die Höhe des Zinsniveaus wird im Wesentlichen von den Zentralbanken sowie von den üblichen Marktmechanismen, also von Angebot und Nachfrage, bestimmt.
Die Europäische Zentralbank, EZB, beeinflusst beispielsweise mit ihrem Leitzins das Zinsniveau für Europa wesentlich. Zwischen März 2016 bis Juli 2022 lag dieser Leitzins bei 0,0%. Möchte sich eine Geschäftsbank in einer derartigen Niedrigzinsphase Geld von der EZB leihen, um Kredite ausreichen zu können, muss sie dafür einen Zins in Höhe von 0,0% an die EZB bezahlen. Hat jedoch eine Geschäftsbank überschüssige Liquidität, die sie bei der EZB lagern möchte oder muss, dann waren dafür z.B. im Juni 2022 Strafzinsen in Höhe von -0,5% fällig. Leitzins als auch Strafzins zeigen, wenn die EZB das Zinsniveau in Europa niedrig halten möchte.
Marktmechanismen greifen u.a. dann, wenn man beispielsweise eine Staatsanleihe kauft und somit als Nachfrager am Markt für Anleihen auftritt. Käufer von Anleihen tragen grundsätzlich das Risiko der Rückzahlung dieser Anleihe. Je länger eine Anleihe läuft und je höher das Rückzahlungsrisiko erscheint, desto höhere Zinsen möchte man typischerweise als Risikoprämie fürs Geldverleihen erhalten. Wenn sich Staaten durch Ausgabe (Emission) von Anleihen Geld am Markt leihen, dann werden sie von Ratingagenturen in Risikostufen, sogenannten Ratings, eingeordnet. Diese Ratings geben dem potentiellen Anleger eine Aussage über das von der Ratingagentur geschätzte Rückzahlungsrisiko für die Anleihe (bzw. den Emittenten). Deutschland ist bei der Ratingagentur Standard & Poor‘s mit dem besten Rating, einem AAA („Triple A“) bewertet. Mexiko beispielsweise kann lediglich ein BBB-Rating („Triple B“) aufweisen. Als Folge des höheren Emittentenrisikos muss Mexiko in der Regel höhere Zinsen auf seine Anleihen bezahlen als Deutschland.
Bei einem niedrigen Zinsniveau und der damit verbundenen „Suche nach Zinsen“ neigen Anleger dazu, größere Risiken beim Geldverleihen einzugehen. Neben dem Rückzahlungsrisiko gilt es vor allem auf Währungs- und Liquiditätsrisiken zu achten.
US-Dollar Anleihen bieten oft höhere Zinsen als Anleihen, welche in Euro begeben werden. Möchte man jedoch eine US-Dollar Anleihe kaufen, muss man zunächst Euro verkaufen und US-Dollar kaufen. Bei Rückzahlung der Anleihe verkauft man wiederum US-Dollar und erhält dafür Euro. Der Wechselkurs von Euro und US-Dollar verändert sich jedoch laufend und somit trägt der Anleger zusätzlich das Risiko der Wechselkursschwankungen.
Bei manchen Anleihen können sich Kauf und Verkauf aufgrund des verfügbaren Handelsvolumens als schwierig gestalten. Marktbewegungen können dazu führen, dass kein Marktteilnehmer eine bestimmte Anleihe zu einem bestimmten Kurs kaufen oder verkaufen möchte. Illiquidität ist vor allem auf dem Anleihemarkt ein oft unterschätztes Risiko.
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Das Ende der Niedrigzinsphase
In den letzten Jahren konnte ein sehr niedriges Zinsniveau beobachtet werden. Wie bereits genannt lag der Leitzins der EZB seit März 2016 bei 0,00 %.
Die Erhöhung des Leitzinses durch die amerikanische Zentralbank (Fed) im Mai 2022 hat das Ende der langjährigen Niedrigzinsphase eingeleitet. Zum 27. Juli 2022 entschied sich auch die Europäische Zentralbank nach mehr als sechs Jahren für eine Anhebung der Leitzinsen um 0,5 Prozent. Anschließend haben sowohl die Fed als auch die EZB den Leitzins stufenweise weiter angehoben. Mit dieser Maßnahme versuchen die Zentralbanken der Inflation entgegenzuwirken. Mit höheren Zinsen soll indirekt Einfluss auf die Preise genommen werden, damit sich diese wieder stabilisieren.
Zinserhöhungen bergen jedoch die Gefahr das Wirtschaftswachstum zu verringern. Höhere Zinsen bedeuten u.a. höhere Kapitalkosten für Unternehmen und diese könnten dazu führen, dass sich manche Investitionen betriebswirtschaftlich nicht mehr lohnen. Eine verringerte Investitionstätigkeit könnte die Folge steigender Zinsen sein. Gerade in Phasen mit schwacher Konjunktur versuchen Zentralbanken oft über niedrige Zinsen die Investitionstätigkeit zu unterstützen.
Welche Auswirkungen hat eine Niedrigzinspolitik?
Das Phänomen niedriger Zinsen ist meist ein globales Phänomen. Nicht nur die EZB, sondern auch zahlreiche weitere Notenbanken – wie beispielsweise die Bank of Japan (BoJ), die Schweizer Nationalbank (SNB) und auch die amerikanische Federal Reserve Bank (Fed) – haben in der Zeit von 2016 bis 2022 ihre Leitzinsen zum Teil drastisch gesenkt. Geben Geschäftsbanken die vergünstigten Konditionen wiederum an ihre Unternehmenskunden weiter, werden deren Kapitalkosten für Investitionen gesenkt. Zentralbanken motivieren durch Leitzinssenkungen indirekt die Unternehmen zu verstärkter Investitionstätigkeit. Als Folge dessen werden mehr Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft produziert und somit das Wirtschaftswachstum erhöht. Auch die Verschuldung öffentlicher Haushalte kann mit niedrigeren Zinsen günstiger finanziert werden.
In Ermangelung von Zinsen sparen viele Menschen einen größeren Teil ihres Einkommens. Die Sparquote – also der Teil des verfügbaren Familieneinkommens, der nicht für Konsum ausgegeben wird – hat in Deutschland sowohl 2018 als auch 2019 zugenommen. Offensichtlich versuchen Sparer in derartigen Phasen die fehlenden Zinseinnahmen für ihr Erspartes durch eine höhere Sparleistung zu kompensieren.
Das niedrige Zinsniveau bringt generell die Notwendigkeit zur Vermögensstreuung mit sich. Traditionell sind in Deutschland viele Anleger stark auf festverzinsliche Anlagen (wie z.B. Festgeld, Sparkonto, Anleihen) fokussiert. Es fehlt oft eine vernünftige Streuung in der Vermögensanlage. Weiterführende Gedanken zur Streuung ihres Vermögens über verschiedene Anlageklassen, wie beispielsweise Aktien, Immobilien oder Gold, werden oft nicht getätigt. Dabei ist eine individuell passende Vermögensstreuung notwendig um mittel- und langfristig attraktive Renditen aus einer Geldanlage in einem Niedrigzinsumfeld zu erwirtschaften.
Autor & Experte im Bereich Wertpapiere
Dr. Klaus Mühlbauer
Dr. Klaus Mühlbauer ist seit 35 Jahren ein sehr renommierter Wertpapierexperte. In seinen Seminaren und Texten legt er besonderen Wert auf die einfache und kompakte Darstellung komplexer Finanzmarkt-Themen.